Kategorien-Archiv Jahrbuch Ökologie 2001

Mit dem JAHRBUCH ÖKOLOGIE 2001 wird das zehnte Buch einer Reihe vorgelegt, die 1992 begann. Die Herausgeber wollten in dieser Reihe Beiträge zur Ökologie präsentieren, die über die ökologische Belastung und die Belastungstrends unterrichten, die staatliche Umweltpolitik analysieren und kritisieren, historisch bedeutsame, umweltbezogene Ereignisse und Initiativen dokumentieren, Visionen einer zukunftsfähigen Welt entwerfen und Wegweiser aufstellen, die dem suchenden Schritt eine Richtung weisen. Die Herausgeber erhofften sich neben der Präsentation auch einen Disput zu dem einen oder anderen wichtigen umweltpolitischen Thema.

Solche Ziele waren anspruchsvoll und sind es immer noch. Sie zehn Jahre lang immer wieder anzustreben, sie aktuell zu definieren und jeweils ein Buch mit Beiträgen von rund 300 Seiten zu produzieren ist eine Leistung an sich. Eine Leistung, zu der ich den Herausgebern gratuliere, und sie ermutige, diese Kärnerarbeit auch künftig fortzusetzen.

Es ist aber auch eine Leistung des Verlages. Ein jeder, der im Publikationsgeschäft Erfahrung hat, weiß, wie mühsam es ist, nicht der Versuchung zu erliegen, die schnelle Mark machen zu wollen, sondern perspektivisch eine Reihe aufzubauen, von der man annehmen kann, dass sie zum Profil des Verlages beiträgt, dass sie als verlegerische Leistung einen Eigenwert hat und auch die nötige wirtschaftliche Basis finden wird.

Eine Zusammenstellung von Themen, die einem breiten Ökologiebegriff genügen, der nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch im Alltag verankert ist, ist zwar von großem Reiz, aber auch mit der Gefahr verbunden, zum Almanach zu werden, zu einem Bilderbuch der ökologischen Beliebigkeiten zu verkommen. Dass dies in den zehn Jahren nicht erfolgte, ist eine besondere Leistung der Herausgeber. Jeder von ihnen steht für Qualität in Wissen und in Haltung. Damit wird sichergestellt, dass die Auswahl der Beiträge von hoher Qualität ist und die Linie in den laufenden Jahrbüchern gewahrt bleibt.

Nicht zuletzt sei auch auf die Qualität der redaktionellen Arbeit verwiesen. Die gebotene Vielzahl der Beiträge mit ihren unterschiedlichen Fachsprachen und Erfahrungshintergründen, mit persönlichen Eitelkeiten und sprachlichen Modernismen drohen jede Ausgabe zu sprengen. Hier strikte Redaktionsregeln durchzuhalten, eine klare Sprache zu finden und einen intellektuellen Spannungsbogen aufzubauen ist eine weitere Qualität jedes einzelnen Bandes. Aber lassen Sie uns doch die wichtigsten Inhalte der zehn Jahre Revue passieren:

  • Perspektiven
  • Weltethos und die Wissenschaften
  • Politikinnovation auf der globalen Ebene
  • Verantwortung ökonomischer Eliten
  • Umweltpolitik 2000 und neue Spielregeln
  • Prinzipien ökologischen Überlebens
  • Gentechnische Entwicklungen
  • Chemiewende
  • Ökologischer Machiavellismus
  • Ökologischer Generationsvertrag
  • Die Zukunft der Arbeit
  • Wann ändern Menschen ihr Verhalten?
  • Ökologie der Zeit
  • Umweltmoral und Umweltökonomie
  • Alte Märchen und neue Wirklichkeit
  • Neue Männer braucht die Ökologie
  • Schwerpunkte
  • Golfkrieg und Umweltzerstörung
  • Klimapolitik
  • Chemiediskurs
  • Mülldiskurs
  • Rüstungskonversion
  • Mobilität und ökologische Verkehrspolitik
  • Artenvielfalt
  • Landwirtschaft und Ernährung
  • Umwelterziehung
  • Ökologische Ökonomie
  • Internationalisierung der Umweltpolitik
  • Kinder und Umwelt
  • Frauen und Umwelt
  • Ökologische Lebensstile
  • Tourismus und Umwelt
  • Umweltmedizin
  • Stoffströme und Stoffkreisläufe
  • Zukunftsfähigkeit des Nordens
  • Zukunftsaufgabe Wasserschutz
  • Zukunftsaufgabe Bodenschutz
  • Lokale Agenda 21
  • Erneuerbare Energien (Wind und Sonne)
  • Umwelt-Verfassung
  • Dispute
  • Verkehrspolitik für oder gegen das Auto?
  • Auf dem Weg zur Ökodiktatur?
  • Für die Umwelt mit der Gentechnik?
  • Ökologische Produktion?
  • Das größte globale Umweltproblem
  • Neue Medienwelt und Umwelt
  • Deutschland auf dem Weg zur Nachhaltigkeit?
  • Erdmanagement – Vision oder Alptraum?
  • Das Jahr 2000 – Zeit zum Umdenken.
  • Umweltpolitikgeschichte
  • Exempel, Erfahrungen, Ermutigungen
  • Spurensicherung

In dieser Aufzählung finden sich alle wichtigen Themen im Umweltschutz der 90er Jahre wieder. Die Gliederung des JAHRBUCHS ÖKOLOGIE ist über die Jahre gleich geblieben; sie hat sich bewährt. Die einzelnen Jahrbücher sind wie Schatztruhen mit vielen Schätzen darin; man muss nur darin blättern und sie finden. Oder fehlt ihnen etwas? Hier wären die Herausgeber sicherlich froh über mehr Rückkoppelung, mehr Fragen und Kommentare, von ihren Autorinnen und Autoren, besonders aber von den Leserinnen und Lesern …

Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann würde ich gerne noch mehr erfahren über die Rolle der Wissenschaft im Ökologiediskurs. Welche Rolle haben theoretische Modelle bei Zukunftsprognosen und welche Auswirkungen haben die Ergebnisse auf die politische Diskussion? Wie sagte doch jemand durchaus treffend: “Es kommt darauf an, was hinten rauskommt.” Mich würden die Verknüpfungen mit anderen Wissensgebieten besonders interessieren. So ist es beispielsweise um die Diskussion mit den Biokybernetikern, den Physikern und den Psychologen bei der Frage Ganzheitlichkeit und Transdisziplininarität der Ökologie merkwürdig ruhig geworden. Was ist los mit der als richtig erkannten ökosystemaren Betrachtung? Warum ist der Diskussionsboom der 80er Jahre inzwischen abgeebbt? Was bedeuten Fuzzy-Logik und Chaos-Theorie, Selbstorganisation und Vernetzung für eine machbare Umweltpolitik? Wie müssten sich danach unsere Erkenntnisse, Leitbilder und Wertvorstellungen verändern? Was sind die Botschaften an die Bürgerinnen und Bürger, um den erstrebten Umdenkprozessen zum Durchbruch zu verhelfen? Wie können wir den Übergang zu einem nachhaltigen Wirtschaften bewerkstelligen, ohne dass es allzu viele Verlierer gibt? Wo sind die Strategien für die Verlierer, die es trotzdem geben wird? Der innere Frieden der Weltgesellschaft wird wesentlich davon abhängen, wie die Sieger mit den Verlierern umgehen.

Wir glauben im Allgemeinen, dass wissenschaftliche Erkenntnis die Voraussetzung für rationales Handeln ist. Ob die wissenschaftliche Erkenntnis aber für sittliches Handeln einen Fortschritt bedeutet, zweifle ich immer häufiger an.

Keine noch so lückenlose wissenschaftliche Beweisführung von ökologischen Zusammenhängen wird uns vor der Zerstörung der Natur bewahren. Dies zu verhindern erforderte eine strikte Umweltethik, eine Ethik für die Natur, die das Bewahren und nicht das Nutzen in den Vordergrund stellt – doch diese Einsicht leben wir nicht. Wir brauchen mehr “feeling” für das Wesentliche, das ökologisch Irreversible. Wir brauchen auch mehr Zutrauen zu den intuitiven Reaktionen unseres Körpers. Nicht nur der Kopf soll steuern, wir sollten auch mehr auf den Körper hören.

Überhaupt fällt mir bei der Lektüre der Jahrbücher immer wieder der Begriff Ganzheitlichkeit ein. Ein Begriff, der in den letzten Jahren kaum noch diskutiert wird. Es sind eben keine holistischen Zeiten, und es gibt keine Zeit für transdisziplinäre Ausflüge.

Die Lektüre des JAHRBUCH ÖKOLOGIE vermittelt aber einen Eindruck davon, wie Ganzheitlichkeit entstehen könnte: durch Vernetzung vieler Teile zur Gesamtheit in unseren Köpfen. So entstehen Beziehungsgeflechte, bei denen das Subjektive, die Intuition eine wichtige Rolle spielen. Wie sagte doch der Dichter: “Das Wesentliche lässt sich im Kopf nicht rechnen und mit Worten nicht beschreiben.”

Manon Andreas-Griesebach hat vor etlichen Jahren in ihrem Buch “Eine Ethik für die Natur” eine Typologie der verschiedenen Ganzheitsvorstellungen und ihrer ethischen Implikationen vorgelegt. Ich zitiere zwei Passagen daraus:

Wer menschliches Leben auf diesem Planeten bewahren will, muss viele Zusammenhänge kennen und das Ganze bewahren. Der muss Achtung haben und seine Mitwelt respektieren.

Wenn es gelänge, das Bewusstsein vieler Menschen mit der festen Überzeugung auszufüllen, dass die Erde und ihre Lebenselemente Wasser, Luft, Boden, Wärme, Atmosphäre zusammen mit den Menschen und Tieren und Pflanzen ein Ganzes bilden, dass sie aufeinander angewiesen sind, voneinander abhängig, wechselnd zwar in jeweiligen Zusammensetzungen in verschiedenen Zeiten verschiedene Ganzheiten bilden, aber immer doch zusammen, wenn es gelänge, dies als unverlierbares Erbgut einzupflanzen, dann müsste sich ein fundamentales Bedürfnis entwickeln, das Ganze zu achten und nach Kräften zu erhalten. Ganzheitsvorstellungen sind so Grundlage für die Achtung des Nichtmenschlichen und Ganzheit der entscheidende ethische Leitstrahl.

Welch wunderbare Übereinstimmung stellt sich dazu ein, wenn man James Lovelock’s GAIA-Hypothese liest. Es ist die Ganzheit aus der Sicht eines Naturwissenschaftlers.

Ein Bereich, über den ich ebenfalls gern mehr erfahren würde, ist der Zusammenhang von Kunst, Ästhetik und Ökologie. Mir erscheint es bemerkenswert, dass in der Nachhaltigkeitsdebatte die Ästhetik der Lebensführung mit all ihren sinnlichen, formalen und inhaltlichen Aspekten eine eher untergeordnete Rolle spielt. Dabei ist dieser ästhetische Ansatz bei der Gestaltung der neuen Lebensphilosophie höchst ergiebig und reizvoll. Auch die Rolle der Kunst als umfassendes, global wirksames und zugleich individuelles Instrument der Umweltbeobachtung wünsche ich mir ausführlicher dargestellt. Und schließlich würde sich jeder Techniker wohl auch über den einen oder anderen Technikbeitrag freuen, denn Technik hat viel mit Kunst und Künsten zu tun. Der Veränderung der Technik verdanken wir ja, ob wir es erkennen oder nicht, viele Verminderungen der früheren Umweltbelastungen.

Diese kurzen Hinweise sollten beileibe nicht als Kritik verstanden werden. Das JAHRBUCH ÖKOLOGIE entsteht ja mit viel Spontaneität und einem sensiblen Gefühl für das augenblicklich Interessierende. Und das ist gut so, denn das Erstellen der Bücher ist kein Selbstzweck. Sie wollen auch verkauft sein. Und Verkauf braucht Käuferinnen und Käufer, die sich bevorzugt an Aktuellem auszurichten pflegen. Ich finde es überhaupt bemerkenswert, dass im Zeitalter von Internet und von amazon.de solche anspruchsvollen Bücher noch auf den Markt zu bringen sind. Wie lange noch? Oder gehört das Buch als haptisches und ästhetisches Erlebnis auch weiterhin zu der von uns gewünschten Welt?

Ich habe danach gefragt, wer diese Aufsätze in Zeiten des Internets denn noch kauft und liest. Genau so lässt sich die Frage stellen, warum denn solche Beiträge noch geschrieben werden. Welchen Grund könnte es dafür geben? Dazu habe ich im JAHRBUCH ÖKOLOGIE 1997 einen Text von Günter Kunert gefunden, den ich auszugsweise zitieren möchte:

“Warum schreiben? Das Motto ist ganz simpel: um zu leben …
Schreiben: weil der Umwandlungsprozess, bei dem ich Text werde, ein dialektischer Regenerationsprozess ist. Ich verliere und gewinne zugleich … Man zieht in die Fremde, die man selber ist; zur Entdeckung des unpersönlich Allgemeinen, das man höchstpersönlich innehat.
Schreiben: damit sich ereignet, was jeder insgeheim wünscht; dass der Moment einen Moment lang Dauer behält und immer wieder erreicht werden kann.
Schreiben: ein wellenartiges Sichausbreiten nach allen Seiten, das Grenzen ignoriert und immer mehr und immer Unbekannteres einbezieht und erhellt.
Schreiben: weil Schreiben nichts Endgültiges konstituiert, aber Impulse gibt; weil es ein unaufhörlicher Anfang ist, ein immer neues erstes Mal.
Solange man schreibt, ist der Untergang gebannt, findet Vergänglichkeit nicht statt, und auch dazu schreibe ich: um die Welt, die pausenlos in Nichts zerfällt, zu ertragen.”

Mir ist diese Antwort ausreichend. Ich denke, wir sollten die Herausgeber ermutigen, auch weiterhin ökologisch Interessierte und ökologisch Neugierige zum Schreiben zu bewegen, auf dass sich das JAHRBUCH ÖKOLOGIE weiterentwickeln kann zur wichtigsten, anspruchsvollen, aber verständlichen Dokumentation ökologischer Themen und zur Dokumentation derer, die sich damit beschäftigen und sich dafür engagieren.

Noch ein besonderes Lob zum Schluss. Bei aller Beschreibung und Deutung des Seienden oder des Kommenden fällt mir der Satz ein:

“Was einer kann, kann er erst zeigen, wenn er es macht.” Die hundert in zehn Jahren beschriebenen konkreten, gelebten Beispiele in der Rubrik Exempel, Erfahrungen, Ermutigungen erscheinen mir als eine ganz außerordentliche Attraktion des JAHRBUCHs ÖKOLOGIE: Nicht nur die großen Dichter/innen und Denker/innen sollen zu Wort kommen, sondern auch die Macher/innen und Tüftler/innen, diejenigen, die tatsächlich Beispiele gesetzt haben und zeigen, wie man in dieser zementierten, bürokratisch verfestigten Welt doch noch etwas ändern kann. So kann die Erfahrung im eigenen Tun Exempel sein und Ermutigung bieten, Veränderungen einzufordern und zu verwirklichen. Denn der Weg entsteht beim Gehen und der, der den ersten Stein aufgehoben hat, hat den Berg schon ein wenig weggeschafft …