Kategorien-Archiv Jahrbuch Ökologie 2019/2020

In den letzten Jahren ist die Digitalisierung in allen Wirtschafts- und Lebensbereichen allgegenwärtig geworden. Es ist jedoch offen, ob und in welchem Ausmaß die Digitalisierung von Kommunikation, Dienstleistung und industrieller Produktion den Übergang in die Nachhaltigkeit fördert – oder ihn gar behindert. Auf jeden Fall kommt es auf die politischen, sozialen und kulturellen Rahmensetzungen an. Und damit auf die Frage, wer sie bestimmt und ob sie durchgesetzt werden können. Trägt die digitale Revolution potenziell zur Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele bei? Ist sie Teil der Lösung oder Teil des Problems?

Als Horst Stern gemeinsam mit 62 anderen Menschen, darunter Günter Altner, Erhard Eppler, Günter Grass, Bernhard Grzimek, Hans Günter Schumacher und Udo Simonis, im Juni 1982 den Aufruf zur Gründung der Deutschen Umweltstiftung veröffentlichte, begann eine einmalige Erfolgsgeschichte. Bis heute sind über 3.500 Menschen diesem Aufruf gefolgt und Stifter der Deutschen Umweltstiftung geworden. Mit ihr begann auch das damals in Deutschland unbekannte Modell der Bürgerstiftung seinen Siegeszug. Heute existieren über 300 meist kommunale Bürgerstiftungen in Deutschland.

Die Deutsche Umweltstiftung nahm 1982 ihre Arbeit auf. Horst Stern feierte in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag und hatte schon zahlreiche Jahre seines Wirkens hinter sich.

Horst Stern, der nicht nur maßgeblich zur Gründung unserer Stiftung beitrug, sondern über Jahrzehnte hinweg eine der lautesten und überzeugendsten Stimmen für den Umweltschutz war, erblickte 1922 in Stettin die Welt. Sein Weg zum Journalismus – und zum Umweltschutz – war kein direkter. Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann wurde er in die Wirren des Weltkrieges verstrickt. Er überlebte seinen Kriegsdienst, landete in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, entwickelte sich dort zum Dolmetscher und war auch nach seiner Entlassung noch einige Zeit für die US-Armee in Deutschland tätig. Bei der Stuttgarter Zeitung begann sein Einstieg in den Journalismus – als Gerichtsreporter.

Seine Liebe zur Natur konnte er schließlich zunächst als Produzent von Schulfunksendungen beruflich einbringen. Eine Tätigkeit, die zeitlebens seinen Aufklärungsstil prägen sollte. Auch als er ab 1969 seine Sendung „Sterns Stunde“ im deutschen Fernsehen präsentieren konnte, prägte diese ein sehr sachlicher, faktenorientierter, aber intellektuell scharfer Stil. Ganz anders als sein Kollege und Konkurrent Bernhard Grzimek verpackte er seine Botschaften nicht in entspannte Plaudereien in Begleitung von Tiger- oder Schimpansenbabys im Studio. Horst Stern ging dahin, wo es wehtut, er zeigte, was wehtat und er präsentierte es auch so. Er schrieb Mediengeschichte, indem er Zirkushaltung beobachtete, den Ekel vor Spinnen nahm, die Überzüchtung von Hunden aufdeckte, die Überpopulation von Hirschen als waldschädlich geißelte. In den Dokumentationen zeigte Stern einerseits die eindrucksvolle Schönheit der heimischen Fauna. Andererseits übte er nachhaltig Kritik am menschlichen Umgang mit Tieren. Sein investigativer Naturjournalismus machte ihn bundesweit bekannt.

Er wollte nicht unterhalten, er wollte aufrütteln, und es frustrierte ihn, dass ihm das trotz seiner 26 Filme noch zu wenig gelang. Das führte schließlich dazu, dass er sich auch organisationspolitisch auf die Seite der Umwelt- und Tierschützer schlug. Er wurde zum Mitbegründer des Bund für Umwelt und Naturschutz und eben auch der Deutschen Umweltstiftung – dazu fand er sich dann auch mit Bernhard Grzimek zusammen.

Mit seiner eigenen Zeitschrift „natur“ schrieb er unermüdlich gegen eine naturvergessene und naturverachtende Welt an.

Seine scharfe, analytische Kritik galt nicht nur anderen. Er schonte auch sich selbst nicht. Als er 1998 in einem Zeitzeugeninterview im Fernsehen zu seinem Lebenswerk befragt wurde, sagte Horst Stern: „Ich habe eigentlich immer nur in den Köpfen und Herzen der Ohnmächtigen etwas bewirkt, in den Köpfen der Mächtigen so gut wie gar nichts.“

Mit Horst Sterns Tod verliert die Bundesrepublik eine bedeutende Figur in der Geschichte des deutschen Umweltschutzes. Seine Fähigkeiten als herausragender Journalist, verknüpft mit seiner ökologischen Überzeugung, ließen ihn der Natur eine Stimme geben. Er warnte frühzeitig vor einem zerstörerischen Umgang mit ihr und prangerte Missstände an.

Sterns Wirken prägt den heutigen Umweltschutz. Auch wenn er seinen Einfluss selbst anzweifelte, trug er nachweislich dazu bei, den Umweltschutz aus den Köpfen weniger in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Sein Wirken hat nicht nur mich persönlich, sondern auch viele weitere Menschen ermutigt, sich aktiv als Umweltschützer zu engagieren und seine Ideale zu unterstützen.

Manchmal wünsche ich mir die Stimme von Horst Stern herbei. Er hätte sicher auch heute noch viel zu sagen. Ob Dieselskandal, Kohleausstieg, Klimaschutz, Ferkelkastration – noch immer bestimmen die Naturvergessenen und Naturverächter weite Teile der Gesellschaft und noch immer könnte die scharfe Kritik eines Horst Stern Betroffenheit auslösen.

Es bleibt noch viel zu tun, zum Glück engagieren sich immer mehr, insbesondere auch junge Menschen für seine, für unsere Ziele. Die gerade entstehende Klimastreikbewegung der Schülerinnen und Schüler sind nur ein Beispiel dafür. Nur wenige dieser jungen Menschen dürften den Namen Horst Stern kennen. Ich weiß, dass wäre ihm egal. Er, der immer auf die junge Generation setze, hätte sich einfach nur gefreut.

Mit Horst Stern verliert die Umweltbewegung einen ihrer ganz Großen. Es bleibt die Botschaft ans uns alle: Was die Großen angefangen haben, müssen die Vielen vollenden.

Danke, Horst Stern!

Jörg Sommer
Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Umweltstiftung

 

Die Entwicklung hin zu einer „durchdigitalisierten“ Gesellschaft geht oft mit dem Versprechen einher, die ökologische Krise technisch lösen zu können und Ressourceneffizienz voranzutreiben bzw. die wirtschaftliche Entwicklung gar zu dematerialisieren. Doch dies scheint einseitig und recht optimistisch gedacht. Zu Recht befürchten viele Akteure, dass Digitalisierung auch den Ressourcenkonsum ankurbelt. Das gilt zum Beispiel für bestimmte Rohstoffe durch verstärkten Einsatz von (kurzlebiger) Elektronik und Sensorik etc. Die Deutsche Rohstoffagentur geht davon aus, dass 2035 fast viermal so viel Lithium gebraucht wird wie 2013 und bis 2050 mehr als dreimal so viel Kupfer wie 2010. Man spricht vom Zeitalter der Informationstechnologie, welches das fossile Zeitalter ablöse und nun auf metallischen Rohstoffen fuße. Dabei müssen allerdings immer aufwendigere Verfahren angewandt werden, um an die Rohstoffe zu gelangen.

Die Beiträge im vorliegenden JAHRBUCH ÖKOLOGIE diskutieren direkte und indirekte Folgen der Digitalisierung auf Ökosysteme und Gesellschaft – teilweise im Hinblick auf komplexe Wirkungen, die bisher in anderen Arbeiten unbeachtet blieben. Die meisten Autorinnen und Autoren schildern Entwicklungen und Perspektiven der Digitalisierung als höchst widersprüchlich.

Einerseits waren wir noch nie so digitalisiert wie heute. Noch nie zuvor war die Menschheit in der Lage, die Situation der Erde quasi in Echtzeit zu vermessen und zu beurteilen, wie wir es heute tun. Niemals standen großen Teilen der Weltbevölkerung derart viele Daten und Informationen für Bildung und Entscheidungsfindung frei zur Verfügung. Andererseits haben wir noch nie so viele Ressourcen verbraucht und vergleichbar umfassend auf die lebenswichtigen ökologischen Systeme des Planeten eingewirkt. Die Nutzung und die Verschleuderung umweltschädlicher fossiler Ressourcen schreiten ungebremst zu neuen Rekordhöhen voran. Und noch nie entfernten sich Positionen von Meinungsführern und politischen Entscheidungsträgern so weit von wissenschaftlichen Erkenntnissen wie heute. Informationsexplosion und Digitalisierung sind eine Spätfolge der Aufklärung. Aber sie befördern nicht nur Wissen und Einsicht, sondern auch Verwirrung, Ambivalenz und Manipulation.

Wir bewegen immer größere Datenmengen. Dabei geht es nicht nur um den Zustand der weltweiten Wälder oder die globale Erwärmung, sondern auch um den massiven Austausch von Musik- und Katzenvideos. Leider ist auch das gefährlich für die Umwelt. Schon heute beträgt der Anteil des Internets am deutschen Stromverbrauch rund acht Prozent. In diesem Bereich werden Steigerungen von 30–50 %bis zum Jahr 2030 erwartet. Global gilt: Wäre das Internet ein Staat, wäre es der sechstgrößte Energieverbraucher der Welt. Hinzu kommen gesellschaftliche Verwerfungen durch mächtige transnationale Konzerne. Apple, Facebook, Google & Co treiben die Digitalisierung voran und lassen sich als Weltverbesserer feiern. Faktisch sind sie gleichzeitig Treiber unglaublicher Ressourcenvernichtung und entziehen ihre Profite der gesellschaftlichen Verantwortung, indem sie weitgehend steuerfrei operieren.
Die durch die Digitalisierung ermöglichten neuen Geschäftsmodelle sind häufig alles andere als nachhaltig. Das Beispiel des privaten Fahrdienstvermittlers Uber zeigt, dass sich das von Internet-Communitys gepriesene Teilen, Weitergeben und Kollektivnutzen von Dingen und Dienstleistungen auch als „brachialkapitalistisches“ Teufelszeug erweisen könnte. Und ist der Carsharing-Hype nicht zumindest fragwürdig, wenn immer mehr Freefloating-Autos unsere Innenstädte verstopfen und dem ÖPNV Kunden abspenstig machen? Viele Beispiele zeigen: Eine neue Wertschöpfungs- und Konsumkultur jenseits von Gier, Haben und schicken Skalierungseffekten ist kein Kinderspiel.

Selbstfahrende Autos, intelligente Verkehrsführung, Elektroautos als Energiespeicher, symbiotische Kombinationen von öffentlichem und individuellem Verkehr – in wenigen Bereichen wird die Digitalisierung mit so viel Fantasie vorangetrieben wie im Bereich der Mobilität. Aber setzt sich am Ende tatsächliche eine neue, nachhaltige, ressourcenschonende Mobilität durch? Oder sind die bisher gedachten Konzepte nur ein Versuch, ein totes Pferd weiterzureiten?

Ähnlich sieht die Situation in der Landwirtschaft aus: Mithilfe zahlreicher Daten zum Beispiel zur Bodenbeschaffenheit und Informationen zur Landnutzung durch Luftbildanalysen kann die Landwirtschaft die Ressourcen effektiver nutzen, den Düngemittel-, Wasser- und Pestizidverbrauch pro Fläche reduzieren und insgesamt etwas ökologischer produzieren. Doch die landnutzungsbezogene Datenmenge und der Zugriff darauf implizieren auch Risiken und neue Abhängigkeiten.
Hinzu kommt: Unsere prinzipiell technikgläubige und wachstumsfixierte Industriegesellschaft hat sich schon immer schwer damit getan, die langfristigen Folgen technischer Innovationen abzuschätzen. Der Einstieg in die Atomstromproduktion ohne gleichzeitigen Bau einer sicheren Endlagerstätte für die hochradioaktiven Abfälle ist dafür nur ein besonders drastisches Beispiel. Die zunehmende Digitalisierung scheint das Problem mangelnder Technikfolgenabschätzung jedoch aufgrund ihrer hohen Innovationsgeschwindigkeit und vielerlei für Konsumenten attraktiver Begleiterscheinungen noch weiter zu verschärfen. „Digitale Havarien“, ausgelöst durch winzige Fehler in komplexen Algorithmen, können nicht nur Aktienkurse abstürzen lassen, sondern auch dramatische Umweltschäden verursachen.
In fast allen Bereichen sind die ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung ambivalent. Wie sieht es aber mit dem Nutzen der Digitalisierung für ökologisch engagierte zivilgesellschaftliche Akteure aus? Die Digitalisierung hat neue Formen gesellschaftlichen Wirkens erst möglich gemacht. Campact z. B. ist ein Kind der digitalen Generation und eine Non-governmental-Organization (NGO), deren digitalgetriebene, auf klassische Verbandsstrukturen verzichtende Arbeitsweise sich fundamental von derjenigen traditioneller Umweltverbände wie BUND, NABU, Naturfreunde u. a. unterscheidet. SumOfUs Ist eine der erfolgreichsten globalen Mobilisierung- und Fundrasising-Maschinen. Mehr Menschen, schneller mobilisiert, organisatorisch aber unverbindlicher eingestellt – ist das die Zukunft der Ökologiebewegung? Macht diese die großen Umweltverbände überflüssig? Ist es eine Konkurrenz? Entwickelt dies Reformdruck? Bedarf es neuer Formen der Kooperation? Ist die Digitalisierung eher Fluch oder Segen für die Umweltbewegung und ihre Ziele?

Auch für die Nutzung der Digitalisierung durch die Umweltbewegung gilt: Bislang gibt es viel Innovation, aber nicht genügend kritische Reflexion ihrer Begleiterscheinungen. Diese aber brauchen wir, wenn wir uns den Digitalisierungsprozessen und ihren Wirkungen nicht hilflos ausliefern wollen. Wir müssen deshalb lernen, die digitale Revolution ökologisch zu verstehen, d. h. ihre ökologischen Folgewirkungen und Mechanismen herauszuarbeiten, um sie dadurch letztlich auch politisch steuerbar zu machen. Um eine ökologische Trendwende in der Digitalisierung herbeizuführen, bedarf es einer „Ökologie der Digitalisierung“. Diese sollte nicht voraussetzen, dass aus Daten- und Informationsgewinnung automatisch ein systemisches Verständnis dieser Technologie folgt. Es geht um die Analyse der Digitalisierungswirkungen auf allen Systemebenen und die Interaktion zwischen ihnen – über alle sozialen und ökologischen Systeme hinweg.

Auch hierzu präsentieren gleich mehrere Autoren des vorliegenden Bandes des JAHRBUCH ÖKOLOGIE ihre Forschungen und Überlegungen. Von einem umfassenden ökologischen Verständnis der digitalisierten Gesellschaft sind wir allerdings noch weit entfernt.

Nach wie vor ist unklar, ob und in welchem Ausmaß die Digitalisierung von Kommunikation, Dienstleistung und industrieller Produktion den Übergang in die Nachhaltigkeit fördert – oder ihn gar behindert. Offensichtlich gibt es keine Zwangsläufigkeit in den ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung. Mehr digital macht die Welt nicht automatisch „zu einem besseren Ort“, wie es das Mantra der digitalen Startups behauptet.

Die Digitalisierung findet statt, die ökologischen Wirkungen sind mannigfaltig, direkt und indirekt. Die „große digitale Transformation“ läuft, auch ohne, dass wir sie kritisch verstehen und diskutieren. Umso wichtiger ist: Die aktuelle Digitalisierungsdynamik muss von einer kritischen Wertediskussion begleitet werden. Den Fragen „Warum sollten wir?“ und „Was sollten wir nicht?“ gebührt ein angemessener Raum im öffentlichen Diskurs. Mehrere Beiträge in diesem Jahrbuch werben für die „Ökologisierung der digitalen Gesellschaft“ als eine unverzichtbare Aufgabe, für die Schaffung einer entsprechend neuen angewandten und politischen Teildisziplin der Ökologie.

Wir brauchen die Vision einer sinnvollen Nutzung der Technologie für eine sozial-ökologische Transformation auf Grundlage einer umfassenden proaktiven Technikfolgenabschätzung und -bewertung, die die Wechselwirkungen der Digitalisierung mit allen konventionellen Stressoren von ökologischen und sozialen Systemen einschließt.

„Die Forderung nach einer guten Gesellschaft ist ehrgeiziger als die nach der besseren“, sagte Erhard Eppler. Die Dynamik der Digitalisierung macht das Ringen um diese gute Gesellschaft nicht einfacher. Aber eben auch nicht weniger bedeutend.

Die Herausgeber, im Juli 2019