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Die Belege für die Naturzerstörung durch den Menschen weren immer erdrückender. Neue, dramatische Studien belegen den fortschreitenden Verlust an biologischer Vielfalt, das Schwinden der Wälder, den Verlust fruchtbarer Böden, die Vermüllung der Weltmeere durch Plastik oder den Klimawandel. Zugleich versuchen rechte Parteien oder „braune“ zivilgesellschaftliche Organisationen, Nachhaltigkeit, Ökologie oder Umwelt- und Klimaschutz zu delegitimieren, der Lächerlichkeit preiszugeben, zu verhindern oder in ihrem Sinne und für ihre Interessen umzudeuten.

Der Schutz der Heimat ist dabei ein Leitthema und zentraler Orientierungspunkt für rechtsradikale Akteur*innen, die die Europäisierung, die Globalisierung und den Multilateralismus ablehnen oder vehement kritisieren. Internationale Absprachen wie sie etwa im Rahmen der Vereinten Nationen (UN), der Welthandels­organisation (WTO) oder der Europäischen Union getroffen werden, würden den Handlungsspielraum des Nationalstaates einschränken. Sie werden deshalb abgelehnt.

Noch vor wenigen Jahren war Globalisierungskritik und die Forderung nach einer umfassenden Regulierung der globalen Handelsströme oder der Finanzmärkte politisches „Eigentum“ linker politischer Kräfte. Heute nehmen Rechtspopulisten und Rechtsradikale den linken und linksliberalen Bewegungen die Kritik an den negativen Seiten der Globalisierung ab. Sie kämpfen um die Diskurshoheit über die Globalisierungskritik mit dem Ziel, die internationalen Institutionen zu schwächen und zu delegitimieren sowie internationale Regeln und Abkommen zu verhindern. Die Souveränität von Nation und Heimat soll wiederhergestellt werden.

Dafür wird ein tradiertes Naturverständnis propagiert, in dem der Mensch wieder als „Beherrscher der Natur“ erscheint. Er kann sich mit seinen technologischen Errungenschaften die Natur zum Untertan machen. Einschränkungen in der fossilen Automobilität werden als Freiheitsberaubung von Autofahrer*innen angesehen. Atom- und Kohlekraftwerke werden verteidigt, weil sie die souveräne Energieversorgung der Nation garantieren. Die Energiewende wird dann unterstützt, wenn sie dem Heimatschutz dient; ebenso der Tier- und Umweltschutz, der in das Weltbild vieler rechtspopulistischer und rechtsextremer Gruppen integriert wird. Vieles davon erinnert an die Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus. Der nationale und lokale Lebens- und Naturraum wird aufgewertet. Nation und Heimat bilden dabei den zentralen Orientierungspunkt; beides wird abgegrenzt von denjenigen, die nicht dazu gehören. Die „exklusive“ Heimat lässt Integration nicht zu.

Manche gehen davon aus, dass der Heimatbegriff längst an völkische Kräfte „verloren“ gegangen sei. Andere ringen intensiv um ein demokratisches, menschenfreundliches, solidarisches, inklusives, soziales und ökologisches Verständnis von Heimat. Der Kampf um die Deutungshoheit ist folglich noch nicht entschieden. Die unterschiedlichen Ansätze finden sich in den Beiträgen des vorliegenden JAHRBUCH ÖKOLOGIE wieder und bilden sich auch im Herausgeberkreis ab. Doch unabhängig davon, ob der Kampf um die Deutungshoheit als verloren oder weiter zu führen angesehen wird, sind sich die Herausgeber*innen doch darin einig, dass die ideologischen Ziele rechtspopulistischer und rechtsradikaler Gruppen in Bezug auf Heimat aufgedeckt und reflektiert werden müssen. Sie untergraben die Errungenschaften, die trotz aller noch unbewältigter Probleme in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten für eine sozial-ökologische Transformation erreicht wurden.

Zweifelsohne haben viele Menschen angesichts fortschreitender Umweltzerstörungen Angst oder werden von Zweifeln geplagt. Viele nennen es Heimatverlust, wenn Äcker, Wiesen oder liebgewonnene Freiflächen Bauprojekten weichen müssen; sei es für neue Autobahnen, den Ausbau von erneuerbaren Energien oder andere Infrastrukturprojekte. Wenn Dörfer – wie in Bayern – verstädtern oder junge Menschen die Dörfer – wie in Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen – verlassen, dann geht damit auch ein Stück Identität verloren. Dies ist sicher eine Erklärung für den Erfolg des Bürgerbegehrens zum Artenschutz in Bayern; aber auch für identitäre Bewegungen, die die Heimat wieder in ihrem Sinne aufwerten.

Sie werden unterstützt von den Dynamiken der Zentralisierung und Urbanisierung. In den urbanen Zentren wird entschieden, wo die Energiewende umgesetzt, wo neue Stromtrassen gebaut oder wo ein Windenergiepark realisiert wird. Die Folgen dieser Entscheidungen spüren vor allem die Menschen in der ländlichen Region, die durch immer größere Windparks, durch Stromtrassen oder immer mehr Straßen für den motorisierten Individualverkehr an Lebensqualität verlieren. Das wiederum ist ein Nährboden für rechtsradikale Kräfte, die auch Animositäten gegen „die Städter, die Intellektuellen, die da oben“ schüren.
Es geht dabei nicht primär um den Naturschutz, sondern um das soziale und politische Gefüge, das sich in ländlichen Regionen verändert – oder schon verändert hat. Der völkische, exklusive, individuelle Interessen bedienende Heimatschutz fällt gerade deshalb vielerorts auf fruchtbaren Boden. Rechtsradikale treiben die Gesellschaft in simplizistische Debatten zu Obergrenzen bei der Zuwanderung, zum Abriegeln der Grenzen und über die Erschaffung von nationalen Leitkulturen, die das Anderssein und das vermeintlich Fremde ausgrenzen.

Während sich „Braune“ und Rechtsextreme im Illegalen oder am extremen Rand des Gesetzes bewegen, zeitigt die gemäßigte Form – der Populismus – auch im Parteienspektrum seine Wirkung. Dabei geht es um Traditionen, soziale Lebensräume oder den Erhalt von Arbeitsplätzen. Auch Grüne und Umweltverbände, die einen Kontrapunkt setzen und sich deutlich für Klimaschutz aussprechen, nehmen sich der sozialen Frage an. Sie beteiligen sich am Deutungskampf um den Begriff Heimat.

Die Koordinaten des politisch Korrekten haben sich in Deutschland bereits rasant verschoben. Rassistische und unhaltbare Begriffe wie „Biodeutsche“ sickern in die Alltagssprache ein, und im Kielwasser eines bedenklichen Geschichtsrelativismus feiert die Heimat fröhliche Urständ. Dabei ist zu berücksichtigen, auf welchem historischen Grund die Auseinandersetzungen stattfinden. So ist zum Beispiel in Deutschland die Entstehung des Naturschutzes mit den Ideen des Heimatschutzes und der national(sozial)istischen Ideologie verbunden. Die Erinnerungskultur, die den Naturschutz des Nationalsozialismus und die heutigen Naturschutzflächen zusammendenkt, muss deshalb weiterentwickelt werden. Der Bezug auf eine Heimat, die sich nicht verändert, in welcher immerzu die gleichen Werte gelten, und für das Wohlergehen der in ihr Aufgewachsenen und Verwurzelten gesorgt wird, ist notwendigerweise exklusiv.

Braune Ökologie lebt in unserer Gesellschaft fort und könnte zukünftig in erheblich stärkerem Maße für nationalistische Agenden ausgenutzt werden. Gleichzeitig stellen ihre Akteur*innen nicht nur wichtige Errungenschaften der Umweltpolitik in Frage oder kämpfen gegen die Technologien der erneuerbaren Energien wie Windkrafträder, sie stellen auch einen guten Teil des wissenschaftlichen Fundaments von Ökologie und Nachhaltigkeit in Frage. Es ist eine dringliche Aufgabe für die Ökologiebewegung, wissensbasiert und werteorientiert neue Diskurse zu befördern, die der Gesellschaft die eingangs beschriebene Dramatik und die Notwendigkeit zum Gegensteuern verdeutlichen. Einer vergangenheitsbezogenen Politik von Nationalismus, Egoismus und Kurzsichtigkeit muss mit einer erweiterten, weltoffenen Konzeption einer inklusiven Heimat entgegengetreten werden. Diese sollte für Lebensqualität, Identitätsstiftung und Verankerung genauso stehen, wie für Weltoffenheit, Solidarität und Austausch.

Ökologie steht nicht nur für die Lehre von den offenen, haushaltenden und sich immerfort dynamisch wandelnden Systemen in der Natur, sondern auch für Diversität und Komplexität als Schlüsselattribute von Funktionalität. Was lässt sich eigentlich von komplex organisierten, selbstregulierten und offenen Ökosystemen für die Organisation von menschlichen Gesellschaften und der Weltordnung lernen? Wie positionieren sich Ökolog*innen in einer vollen Welt, in der die planetarischen Grenzen längst überschritten sind, zu Migration, Entwicklung und Wachstum? Gibt es ein Menschenrecht auf grenzenlosen Konsum, auf das eigene Sport Utility Vehicle (SUV) oder doch eher ein gutes Leben? Wie können wir unser Leben so gestalten, dass es nicht auf Kosten anderer beruht? Inwiefern stehen alternative Konzepte wie das Buen Vivir – das Gute Leben – nicht nur für Suffizienz, das Respektieren der Grenzen des Wachstums und für die Versöhnung der Menschen mit der Natur, sondern auch für Solidarität und inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit? Ist eine ökologische Politik auch eine Friedenspolitik? Wäre eine ökologische Leitkultur im politischen Spektrum links oder rechts zu verorten – oder zeigt sie Wege auf in eine neue Richtung?

Das vorliegende JAHRBUCH ÖKOLOGIE bietet Analysen von Entwicklungen, die mit dem Heimatbegriff verbunden sind. Es beinhaltet einen historischen Abriss zur braunen Ökologie, geht auf die Situation in Deutschland und in anderen Ländern ein und will Antworten auf die oben genannten Fragen geben. Es reflektiert die Tatsache, dass alle Menschen heute in ‚einer Welt’ leben, die durch Welthandel, Mobilität und weltweite Echtzeit-Kommunikation genauso geprägt ist, wie von sozialer Ungerechtigkeit und globalisierten Umweltproblemen. Dass diese Antworten unterschiedlich, ja teilweise widersprüchlich ausfallen, sehen wir als eine Stärke des JAHRBUCH ÖKOLOGIE an: Es vereint kritische Autor*innen, die Positionen beziehen und den Diskurs führen wollen. Dieser Diskurs ist im Kreise der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewegten gerade im Bezug auf „Heimat“ dringend geboten.

So ist auch der Abschlussbeitrag in diesem JAHRBUCH ÖKOLOGIE zu verstehen, der mit der Diskussion von Grundlagen eines neuen Ökohumanismus weniger Antworten bietet, sondern zu einem gesellschaftlichen Diskurs einladen will. Wir wünschen unseren Leser*innen eine anregende Lektüre und freuen uns über Erwiderungen, Beiträge, Kritik und Anregungen über die Homepage unseres JAHRBUCH ÖKOLOGIE.

Die Herausgeber*innen, im Juli 2020

Die Digitalisierung findet statt. Die ökologischen Wirkungen sind mannigfaltig, direkt und indirekt. Es geht um Nutzung neuer Materialien, Wachstum von Energiekonsum und das Befeuern neuer Bedarfe, Veränderung von Konsum- und Kommunikationsgewohnheiten, komplexe, miteinander interagierende Einflüsse auf ökologische und soziale Systeme. Die der „großen digitalen Transformation“ zugrundeliegenden Dynamiken können und werden vermutlich bald schon an Rasanz und Brisanz gewinnen. Längst ist hinreichend klar, dass es falsch wäre, der Technologieentwicklung freien Lauf zu lassen. Eine Steuerbarkeit und Steuerung ist aus ökologischer Perspektive unverzichtbar. Wir müssen deshalb dringend lernen, diese sich selbst beschleunigende und zusehends auch sich selbst organisierende Transformation ökologisch zu verstehen und eine angemessen komplexe Technikfolgenabschätzung zu leisten. Es braucht eine „Ökologie der digitalen Gesellschaft“, ein sozial-ökologisches Einhegen der Digitalisierung. Damit Digitalisierung die Grundlage einer Transformation hin zu einer regenerativen und das globale Ökosystem schonenden Lebens- und Wirtschaftsweise wird und eben nicht zum Instrument totalitärer Politik und eines Hyperextraktivismus mit verheerenden Folgen für den Planeten und die Menschheit.

Die Digitalisierung wirkt – aber wie?

Die Beiträge im vorliegenden JAHRBUCH ÖKOLOGIE betrachten vielfältige Aspekte der Digitalisierung aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Wirkungen betreffen praktisch alle ökologischen und sozialen Systeme der Erde, und sie sind komplex, das heißt, sie interagieren systemisch, befeuern sich oftmals gegenseitig und führen zu einem nichtlinearen Anstieg von Wirkmächtigkeit und Ausmaß.

Manche Wirkungen sind positiv: Wissenschaftler schätzen die Ermöglichung von Echtzeitbeobachtung und -auswertung ökologischer Prozesse und Probleme sowie die Steigerung von Vernetzung, Kooperation und Produktivität, NGOs die Möglichkeiten, mit vergleichbar geringen Ressourcen viele Menschen zu erreichen; die jungen Menschen von Fridays for Future setzen bei ihrer Vernetzung ganz selbstverständlich auf neue Technologien und erreichten innerhalb kürzester Zeit auch dank WhatsApp, Instagram, Livestream und Youtube eine derartige Reichweite, Komplexität, inhaltliche Reife und mediale Wirkung, wie sie in vergangenen Jahrzehnten nicht möglich gewesen wären.

Andere Auswirkungen wiederum sind eindeutig negativ zu bewerten: der hohe Energieverbrauch – allein das Internet benötigt mehr Strom als die allermeisten Staaten der Welt –, die Ausbeutung seltener Ressourcen sowie zuvor technisch unattraktiver fossiler Brennstofflagerstätten in bislang unangetasteten Ökosystemen, die Erhöhung des Energie- und Materialumsatzes konventioneller Aktivitäten durch Schaffung neuer Optionen für Mobilität, Produktion, Handel und Transport. Letztlich scheint digitaler Fortschritt als Spitzentechnologie nach wie vor lediglich auf einem breiten, globalisierten, nach wie vor klimaschädlichen industriellen Fundament denkbar.

Doch es gibt auch zahlreiche Entwicklungen, die weniger eindeutig positiv oder negativ zu bewerten sind. Ob „Smart Cities“ am Ende tatsächlich für mehr Nachhaltigkeit sorgen – und ob die Kollateralschäden des komplett durchleuchtbaren Bürgers dies wert sind –, ist nicht entschieden. Ob die Zukunft in KI-gesteuerter, aber nach wie vor individueller Elektromobilität liegt? Man kann es durchaus bezweifeln. Ob neue digitale Geschäftsmodelle mehr Ressourcen einsparen als sie an Ressourcenverbrauch generieren? Das ist sicher von Fall zu Fall höchst unterschiedlich.

Uns bleibt nur, ehrlich zu konstatieren: Die ökologische Nettobilanz der Digitalisierung kennt niemand. Vermutlich wird sie auch mit modernsten digitalen Tools nie valide berechenbar sein. Offensichtlich ist aber: Digitalisierung an sich ist weder „gut“ noch „böse“, sondern sie steht für ein Instrumentarium, das sowohl Gutes als auch Böses erheblich zu stärken vermag. Bisherige Einschätzungen und Erfahrungen, auch vieler Beiträge in diesem JAHRBUCH ÖKOLOGIE, legen die Einschätzung nahe, dass die ökologischen Folgen, wie bei allen drei industriellen Revolutionen zuvor, tendenziell eher negativ einzuschätzen sind, insbesondere dann, wenn es nicht gelingt, die gesellschaftliche Kontrolle über den Prozess auszuüben sondern er von kurzfristigen Profit- und Renditewünschen angetrieben ist.

Und dies ist bislang definitiv der Fall. Die mit der Digitalisierung einhergehende neue Stufe der Globalisierung bringt es mit sich, dass immer größere Teile der Ökonomie sich jeglicher politischer Steuerung entziehen. Dies gilt längst nicht nur für ihren Beitrag zur Finanzierung dominanter gesellschaftlicher Strukturen, sondern manifestiert sich auch in den diversen aktuell verhandelten oder abgeschlossenen Freihandelsverträgen. Dort ist ein regelmäßiger Bestandteil die Einführung neuer juristischer Verhältnisse, die es globalisierten Konzernen ermöglichen, sich im Rahmen eigens geschaffener, demokratisch nicht mehr kontrollierbarer Institutionen auf Augenhöhe mit ganzen Staaten auseinanderzusetzen, wenn sich diese zum Beispiel aufgrund sozial verantwortlicher Arbeitsschutz-, Steuer- oder Umweltgesetzgebung „schädlich“ für das Gewinnstreben der Konzerne verhalten. Dass es sich hier zunehmend um digitale Geschäftsmodelle handelt, ist eine nicht ganz überraschende Beobachtung. Die damit einhergehende Erosion demokratisch legitimierter Rahmensetzung für wirtschaftliches Handeln ist nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern auch ökologisch fatal.

Digitalisierung ist nicht nachhaltigkeitsgetrieben

Denn auch für die vierte industrielle Revolution gilt: Treibende Kraft hinter der Digitalisierung ist die Ökonomie und ihr Leitmotiv: das Gewinn- und Wachstumsstreben. Hinzu kommt auf der Ebene der Konsumenten ein erhebliches Unterhaltungs- und Faszinationspotenzial, welches dem Trachten nach Anregung und Befriedigung des Geltungsdrangs des stets neugierigen und auf Selbstdarstellung erpichten Homo ludens entgegenkommt. Wie realistisch ist es, vor dem Hintergrund dieser neuen Stufe der Entfesselung der Produktivkräfte zu erwarten, dass dabei gleichsam von selbst Nachhaltigkeit entstünde, was nichts anderes als eine gesellschaftlich verantwortliche Fesselung dieser Produktivkräfte bedeuten würde? Kann so eine nachhaltige Gesellschaft entstehen, in der Überfluss und Wohlstand allen zugutekommt? Die Einführung der neuen Technologien ist immer mit Investitionen verbunden, welche sich für die Investoren letztlich zeitnah als Gewinne auszahlen müssen. „Nachhaltigkeit“ ist aus deren Sicht kein Gewinn, sondern ein Risiko. Ökologische Schäden sind kein Risiko, sondern machen Kurzfrist-Geschäfte lukrativ. Auch ein “digitaler Kapitalismus” funktioniert nach kapitalistischen Prinzipien. Wären diese Prinzipien in der Lage, Nachhaltigkeit zu generieren, sähe die Welt heute deutlich anders aus.

Viele der beobachteten Entwicklungen sind als zumindest potenziell ökologisch schädlich einzuschätzen. Wie kann es uns gelingen, diesen Entwicklungen entgegenzusteuern? Reicht es, sich selbst auf den technologischen Wettlauf einzulassen und zu versuchen, dieselben Technologien, die zum Beispiel für satellitengestützte Ressourcensuche eingesetzt werden, selbst zu nutzen, um die Schäden zu dokumentieren, zu analysieren und die Gesellschaft zu informieren?

Dieser Weg ist sicher möglich, nötig und er wird auch bereits von vielen gegangen. Aber letztlich wird, wie stets in der Geschichte der technologischen Entwicklung, die Ökonomie der Ökologie einen Schritt voraus sein. Allein aus ökonomischen Gründen werden die meisten intellektuellen Ressourcen in ökonomisch getriebene Innovationen investiert werden. Ökologischer Nutzen ist faktisch wie ökologischer Schaden tendenziell nicht Ziel, sondern Kollateraleffekt.

Digitalisierung vernebelt die (Wahrnehmung der) Grenzen des Wachstums

Ein weiterer Effekt der Digitalisierung ist bislang noch wenig erforscht und in seinem Umfang schwer zu bestimmen, allerdings aus ökologischer Perspektive hochproblematisch: Die Digitalisierung verschiebt – scheinbar – die „Grenzen des Wachstums“, indem sie zum Beispiel die Ausbeutung fossiler Rohstoffe ermöglicht, die anders nicht oder nicht zu ökonomisch attraktiven Kosten verwertbar wären. Auch tragen die durch sie realisierten Effizienzgewinne dazu bei, ökologisch bedenkliche Prozesse wie die Kohleverstromung zu verbilligen.

Die Digitalisierung kommt so gerade recht in einer Zeit der Erschöpfung von Ressourcen und lebenserhaltenden Systemen. Sie bewirkt eine Beschleunigung und Diversifizierung der Ressourcennutzung bzw. eine Mobilisierung von zuvor nicht verfügbaren Ressourcen. Sie dehnt die Grenzen des Wachstums aus und gaukelt uns sogar vor, wir könnten sie überwinden.

Zu diesen Ressourcen, die vor Kurzem nicht nutzbar waren, gehören auch menschliche und intellektuelle Kapazitäten. Durch die Vernetzung von immer mehr Menschen und Institutionen, die vorher nicht zusammengefunden hätten, um gemeinsam neue Erfindungen, Technologien und Geschäftsideen zu entwickeln und umzusetzen, ergibt sich neue Schubkraft für die Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit und auch für Machbarkeitsfantasien. Die überaus schnelle Evolution von technischen Systemen mit immer neuen Funktionen und erheblicher Leistungssteigerung befeuert die Technikgläubigkeit. Sie nährt die (illusorische) Fantasie, die moderne, von Grund auf unökologische Industriegesellschaft könnte durch eine weitere Beschleunigung der Produktivkraftentwicklung den von ihr verursachten ökologischen Problemen quasi davonlaufen und/oder diese sogar „reparieren“. Es vergeht kein Tag, an dem nicht neue digitalgetriebene Ideen und Projekte des Geoengineering entstehen. Ob CO2 aus der Atmosphäre oder Plastik aus den Weltmeeren extrahiert werden soll: Die Digitalisierung macht es (scheinbar) möglich – und vor allem nimmt sie Reformdruck von den nach wie vor nicht nachhaltigen Wirtschaftsstrukturen.

Digitalisierung als soziales Narkotikum

Ein ökonomisch überaus relevantes Anwendungsfeld der Digitalisierung ist die Unterhaltungsindustrie, vor allem mit Film, Funk, Fernsehen, Musik und Spielen. Die Digitalisierung hat den Medienkonsum der Menschen innerhalb kurzer Zeit radikal verändert. Die Popularisierung und vielerlei Angebote der barrierefreien Nutzung über das Internet haben die Zahl der Konsumenten weltweit sowie wohl auch den Konsum pro Kopf deutlich erhöht. Der praktisch freie Zugang zu mehr Information, Musik und Filmen, als sie in mehreren Leben überhaupt genutzt werden könnten, trägt zu einem größeren Gefühl der Freiheit der Wahl bei sowie potenziell auch zu verbesserten Bildungschancen. Allerdings sind die Unterhaltungsangebote – extrem verwoben mit sozialen Medien, neuen Kommunikationsformen zwischen Menschen und in Gruppen und auch mit Werbung für reale Konsumprodukte – so umfassend, allgegenwärtig und attraktiv, dass erhebliche Zeit dafür erforderlich ist, sie auch zu nutzen. Zudem drängen sich die Angebote zunehmend zwischen die Menschen und ihre Umwelt. Die Welt der Musik, Hörbücher, Podcasts … sind inzwischen bei vielen Menschen stets auf den Ohren, auch wenn sie sich außerhalb von Wohnung und Arbeitsstätten bewegen.

Die digitalen Unterhaltungsangebote bilden längst eine virtuelle Realität – und für viele Digital Natives den Lieblingsaufenthaltsraum. Nachdem das Verb „googeln“ als neuartige Form der Informationsrecherche dem Digitalkonzern vor einigen Jahren den Eingang in die globale Sprache brachte, steht nun auch „netflixen“ für eine neue Lebensform. Die Assoziation liegt nahe, dass die virtuellen Bildungsangebote den modernen Spielanteil von „Brot und Spiele“ darstellen. Die virtuelle Realität macht häufig mehr Freude als die echte, und sie kann auch helfen, die reale Weltlage verdaulicher und verdrängbarer zu machen. Die Youtubisierung der Gesellschaft hat neue Möglichkeiten der Selbstdarstellung, (Des-)Information und unternehmerischen Tätigkeit möglich gemacht. Vor allem aber befeuert sie eine erhebliche Entkopplung (nicht aller, aber) vieler Menschen von der Natur der Sachen. Gerade erleben wir, dass rein virtuelle Produkte wie der Animationsfilm „König der Löwen“ praktisch besser daherkommen als die Natur selbst, „Natur 5.0“, wie im Spiegel gejubelt wurde (Nr. 29, Juli 2019). Im Endeffekt wirkt die digitalisierte Unterhaltung wie ein soziales Narkotikum. Sie betäubt einen Teil der Gesellschaft, verlagert die primäre Aufmerksamkeit in die sich schnell verändernden und Aufregung kultivierenden virtuellen Räume und raus aus der realen Welt der zwischenmenschlichen Auseinandersetzung, des langatmigen Dialogs und der Rückkopplung an reale Alltagswelten.

Digitalisierung entfaltet sich als komplexer, systemischer Prozess und ist unberechenbar

Bei realistischer Betrachtung liegt also aus ökologischer Sicht eine Schlussfolgerung nahe, um es in Anlehnung an T. C. Boyle zu sagen: „Ein Freund der Erde ist ein Feind der Digitalisierung.“ Allerdings ist der Gedanke, die Digitalisierung stoppen zu können, ebenso unrealistisch, wie es die Heilsversprechen der Fortschrittsfetischisten sind.

Wie bei jeder Umwälzung der Produktivkräfte in der Geschichte der Menschheit ist der Versuch zum Scheitern verurteilt, sie zu stoppen. Darum kann es also nicht gehen. Worum es aber gehen kann und muss: um die gesellschaftliche Kontrolle über den Prozess – nicht nur über die Auswirkungen. Dazu bedarf es jedoch zunächst einer entscheidenden Voraussetzung.

Es ist typisch für alle historischen Produktivkraftumwälzungen, dass die große Masse der Menschen, aber auch der unmittelbar damit befassten Akteure, diese als direkt Beteiligte nicht umfänglich verstehen, sich im Umfang der Auswirkungen der Geschwindigkeit der Prozesse, in der Entwicklung der Eigendynamiken und dem gesellschaftsverändernden Potenzial völlig verschätzen. Das galt und gilt auch für die Protagonisten der Digitalisierung:

  • „Ich denke, dass es weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer gibt.“ Das prognostizierte Thomas Watson, Chairman von IBM, Mitte des letzten Jahrhunderts. IBM sollte später Milliarden von Dollar mit Millionen von Computern verdienen.
  • „Es gibt keinen Grund, warum jeder einen Computer zu Hause haben sollte“, behauptete Ken Olsen, Gründer von Digital Equipment Corp. im Jahr 1977.
  • „Das Internet wird wie eine spektakuläre Supernova im Jahr 1996 in einem katastrophalen Kollaps untergehen“, meinte Robert Metcalfe, Erfinder der Ethernet-Verbindung.
  • „Das Abonnement-Modell für den Kauf von Musik ist gescheitert“, meinte Steve Jobs am 3. Dezember 2003.
  • „In zwei Jahren wird das Spam-Problem gelöst sein“, versprach Bill Gates im Jahr 2004.
  • „Von Facebook wird in fünf bis sechs Jahren kein Mensch mehr reden“, dozierte der anerkannte Zukunftsforscher Matthias Horx noch 2010.

Die Schwäche dieser Prophezeiungen durchaus respektabler Protagonisten der Digitalisierung ist offensichtlich. (Und ebenso offensichtlich ist: Es ist ziemlich egal. Sie haben die hier Zitierten überwiegend nicht daran gehindert, mit der Digitalisierung Milliarden von Dollar zu verdienen.)

Die Unberechenbarkeit ist eine inhärente Eigenschaft von komplexen Systemen. Die Digitalisierung wirkt sehr stark auch dadurch, dass existierende komplexe Systeme – vor allem soziale und ökonomische Systeme – miteinander verknüpft werden, wodurch stetig neue Interaktionsmöglichkeiten geschaffen und realisiert werden. Wir wären gut beraten, Digitalisierung nicht als lineares Fortschrittsmodell zu betrachten, sondern sie als systemischen Prozess zu verstehen, der immerzu neue positive Rückkopplungen entfesselt und dadurch in der Eskalation seiner selbst mündet. Hinzu kommt, dass, wie schon im Prozess der biologischen Evolution, die Tendenz zur Selbstreferenzialität der digitalen Systeme zunimmt. Dies bedeutet, dass (Teil-)Systeme befähigt werden, nicht nur mit anderen zu interagieren, sondern auch mit sich selbst; dies ist der Weg, der durch die Schaffung von selbstlernenden Algorithmen und sich selbst organisierenden Maschinen und künstlicher Intelligenz beschritten wird. Das Einzige, was wir mit Sicherheit aus der Theorie komplexer Systeme und der jüngeren Geschichte der systematischen Unterschätzung der Entwicklung von Digitalisierung lernen können, ist wohl, dass wir vor weiteren erheblichen Überraschungen besser gefeit sein sollten.

Die Betrachtung von Systemdynamik und komplexen Wirkungen der Digitalisierung ficht die Förderer dieser Technologie nicht an. Auch das ist eine historische Parallele zur Mechanisierung und Elektrifizierung: Die Treiber des Fortschritts in der Ökonomie müssen den gesamten Prozess und insbesondere die gesellschaftlichen Implikationen nicht verstehen und nicht langfristig prognostizieren. Denn sie müssen ihn nicht steuern, um Profite zu erwirtschaften: ein weiterer Vorteil auf Seiten der Ökonomie im Ringen um den Umgang mit den ökologischen Folgen. Was aber heißt das für die Ökologie?

Eine Ökologie der Digitalisierung: keine Nutzung ohne besseres Verständnis

Ökologie lebt vom Verstehen. Nur ökologische Prozesse und Zusammenhänge, deren Komplexität wir zumindest hinreichend erahnen, können wir angemessen schützen, beeinflussen, bewahren, manchmal sogar steuern. Das ist die Herausforderung, aber auch die Stärke der ökologischen Wissenschaften. Und diese Stärke ist es auch, die wir im Umgang mit der vierten, der digitalen industriellen Revolution brauchen.

Denn bislang gibt es bei der Digitalisierung viel Innovation und wenig Verständnis. Dies konstatiert auch der WBGU in seinem aktuellen Gutachten:

„Offenkundig ist aber auch, dass eine systematische Analyse der einschlägigen Chancen und Risiken nicht existiert, weder für Deutschland noch für den Globus. Insofern identifiziert der WBGU hier nicht nur große Handlungsdefizite, sondern auch eine eklatante Forschungslücke. Der Beirat fordert ein, die beiden Kardinalherausforderungen ‚Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen‘ und ‚digitale Revolution‘ endlich gemeinsam zu betrachten. Dafür müssen wirksame politische Anreize und Prozesse geschaffen werden.“

(WBGU 2019)

Wir müssen deshalb dringend lernen, die digitale Revolution ökologisch zu verstehen, d. h. ihre systemischen Gesetzmäßigkeiten herauszuarbeiten und sie dadurch letztlich auch ökologisch steuerbar zu machen. Der WBGU schlägt hier drei Forschungslinien vor:

  • Forschung zur Digitalisierung für Nachhaltigkeit (Erste Dynamik): Wie können digitale Technologien, digitalisierte Infrastrukturen und digitalisierte Systeme und Endgeräte nachhaltig gestaltet werden, insbesondere mit Blick auf ihren Energie- und Ressourcenverbrauch sowie die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft? Wie kann die Digitalisierung als Instrument zur Umsetzung der SDGs und zur Dekarbonisierung des heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems eingesetzt werden?
  • Forschung für nachhaltige digitalisierte Gesellschaften (Zweite Dynamik): Wie können handlungsfähige Gesellschaften erhalten werden, die in der Lage sind, die systemverändernde Wirkmacht sowie die damit verbundenen Unsicherheiten der Digitalisierung einzuordnen und proaktiv nachhaltig zu gestalten sowie den nicht intendierten Folgen erfolgreich zu begegnen? Wichtige Forschungsaufgaben sind die Untersuchung von Systemrisiken und -potenzialen, die Entwicklung neuer Teilhabeformen im Kontext der Arbeit der Zukunft, die Gestaltung der Mensch-Maschine-Interaktionen und die Befähigung des Individuums in digitalisierten Nachhaltigkeitsgesellschaften. Die Forschungsmittel zu den Auswirkungen KI auf die digitalisierte Nachhaltigkeitsgesellschaft sollten deutlich erhöht werden.
  • Forschung zur Zukunft des Homo sapiens (Dritte Dynamik): Durch den digitalen Wandel wird das Menschsein selbst zum Thema nachhaltiger Entwicklung. Inwieweit sind alte und neue Menschenbilder angesichts einer möglichen Verschränkung von Mensch und Technik sowie der zunehmenden Kooperation von Mensch und Maschine zu hinterfragen? Wie kann der Erhalt menschlicher Würde sichergestellt werden?” (WBGU 2019)

Aus Sicht der Autoren sind dies allesamt wichtige Forschungsfragen. Allerdings konzentrieren sie sich zumeist auf (hoffentlich nachhaltige) Nutzungspotenziale einer nach wie vor von der Ökonomie getriebenen und von dieser teilgesteuerten, dem Wesen nach aber weiter anarchisch verlaufenden Entwicklung. Als Grundfragen, die der Entwicklung von einem ökologischen Verständnis der Digitalisierung dienen, sind die Vorschläge ausdrücklich zu begrüßen. Um eine ökologische Trendwende in der Digitalisierung herbeizuführen, bedarf es letztlich mehr.

Eine Ökologie der Digitalisierung sollte ein systemisches Verständnis dieser Technologie befördern. Es geht um die Analyse der Digitalisierungswirkungen auf allen Systemebenen und die Interaktion zwischen ihnen.

  1. Wirkung auf das Individuum, die Psychologie und das Denken: die Veränderung von persönlicher Bildung und der Bereitschaft, (relevante) Informationen aufzunehmen und zu nutzen; die „Aufklärbarkeit“; die Manipulier- und Steuerbarkeit; die Beeinflussung der Bereitschaft, sich als Teil von Systemen höherer Ordnung zu begreifen und sich für deren Funktionstüchtigkeit zu engagieren; die Veränderung von Konsumgewohnheiten; die Ausbildung von Verantwortungsgefühl und die Unterstützung ethischer Prinzipien; die Bewahrung von individuellen Menschenrechten
  2. Wirkung auf soziale Systeme niederer und mittlerer Ordnung: die Schaffung oder Auflösung von „sozialem Kitt“ und einer Identität, die Zusammenhalt und Solidarität fördert; die Fähigkeit, den Gewinn individueller Freiheitsgrade auf der einen sowie der Möglichkeiten ausgeprägter Kontrolle der Individuen auf der anderen Seite gegen die Bewahrung der Freiheit der Gesellschaft abzuwägen und auszubalancieren; die Organisation eines angemessenen adaptiven Wissensmanagements, vor allem in Bezug auf gesellschaftliche Umweltwirkungen und Umwelt-Governance; die Fähigkeit zur faktenbasierten Reflexion und Durchsetzung ethischer Prinzipien; die Organisation von unabhängiger und faktenbasierter Qualitätsfilterung von Information; die Bewältigung von Konflikten; die Nutzung von Technologie zur Beförderung oder Beschränkung partizipativer Entscheidungsfindung sowie der internationalen/globalen Zusammenarbeit; die Möglichkeiten zur Beförderung oder Verhinderung von umweltschädigenden Geschäftsmodellen; die Veränderung von Wirtschafts- und Finanzsystemen
  3. Wirkung auf soziale Systeme höherer Ordnung: die Möglichkeiten des Umgangs mit regionalen und geopolitischen Konflikten; die Beförderung einer faktenbasierten internationalen Zusammenarbeit, vor allem im Bereich der Umweltbeobachtung und globalen Umwelt-Governance sowie der bi- und multilateralen Entwicklungskooperation; die Beförderung oder Kontrolle von „lateralen Weltsystemen“, welche die Steuerbarkeit von Umweltwirkungen und deren Treibern reduzieren; die Veränderung der globalen Wirtschafts- und Finanzarchitektur
  4. Wirkung auf lokale und regionale Ökosysteme sowie auf das globale Ökosystem: die Beförderung oder Beschränkung bereits existierender Treiber von ökosystemarem Stress (z. B. Energieumsatz, Emissionen, Gewinnung von benötigten Materialien, Bau von Infrastruktur; Mobilität; Landnutzung); die Schaffung neuer positiver und negativer Einflussmöglichkeiten auf Ökosysteme; die direkten energetischen, stofflichen, physikalisch-abiotischen und biotischen Wirkungen

Instrumente zur Ökologisierung der digitalen Gesellschaft

Durch Digitalisierung wird die Gesellschaft, in der wir leben, in grundlegender Weise verändert. Aktuell wird diese Veränderung getrieben und gesteuert von gewinnorientierten Kräften in der Wirtschaft. Die Gesellschaft und ihre demokratisch legitimierten Entscheider sind allenfalls mit der Organisation von Kollateralnutzen oder -schäden beschäftigt.

Von einer Digitalisierung, die unter diesen Paradigmen stattfindet, können wir nicht wirklich einen entscheidenden Beitrag zu einer sozial-ökologischen Transformation erwarten. Soll dies geschehen, muss die Gestaltungsgewalt in die Hände der demokratischen Gesellschaft, ihrer Institutionen und Akteure gelangen, die fakten- bzw. wissensbasiert Positionen und Richtlinien erarbeitet. Hierzu einige Überlegungen zu den Optionen und Strategien in einzelnen Handlungsfeldern:

Primat der Politik über die Ökonomie

Das Verhältnis von Ökonomie und Politik in der Marktwirtschaft ist schon immer ambivalent. Zwar bewegen sich die ökonomischen Akteure (theoretisch) im Rahmen der gesellschaftlich gesetzten Normen, faktisch haben sie jedoch großen Einfluss auf deren Ausgestaltung. Mit der Globalisierung ist letztlich für einen (gerade in der Digitalisierung entscheidenden) Teil der Ökonomie ein immer größerer Freiraum entstanden: Die Unternehmen können bewusst entscheiden, wo sie welche Teile ihres Konzerns ansiedeln, machen sich dadurch ganze Regierungen gefügig, zahlen so gut wie keine Steuern und verhandeln letztlich auch dank diverser Freihandelsabkommen faktisch auf Augenhöhe mit denen, die auch sie eigentlich regieren sollen. Ihre ökonomischen Ressourcen sind ebenfalls durchaus mit denen von Staaten konkurrenzfähig. Diese Struktur setzt gesellschaftlichem Einfluss auf Strategien der Digitalisierung enge Grenzen. Man muss keinen sozialistischen Ideen anhängen, um zu erkennen: Diese Entwicklung ist fatal. Nationalstaaten werden diese Entwicklung in einer globalisierten Ökonomie auch kaum revidieren können. Dazu bedarf es internationaler gouvernementaler Strukturen, die einen Rechtsrahmen setzen. Demokratisch legitimiert und (mit der Ökonomie) nicht verhandelbar. Letztlich kann und muss eine solche Rahmensetzung international im UN-Kontext erfolgen, selbst eine europäische Insellösung ist in der globalisierten Gesellschaft kaum durchsetzungsstärker als nationalstaatliche Versuche. Aber auch auf nationaler Ebene bedarf es einer Anpassung politischer Strukturen an die Herausforderungen der Digitalisierung. In Deutschland zum Beispiel ist die digitale Zuständigkeit breit gestreut. Der Verkehrsminister, eigentlich ausschließlich damit beschäftigt, ein Mobilitätspolitik aus dem vergangenen Jahrhundert am Leben zu erhalten, ist zuständig für „digitale Infrastruktur“. Dazu kommt (erst seit 2018) eine „Staatsministerin für Digitales“ im Kanzleramt, ausgestattet mit einem Mini-Budget und Mini-Apparat sowie ohne politische Gestaltungsmöglichkeit. Das sind nicht die Strukturen, die eine gesellschaftlich gesteuerte Digitalisierung ermöglichen. Ein Digitalministerium ist überfällig.

Vergesellschaftlichung digitaler Schlüsselstrukturen

In der frühen Entwicklungsphase der kapital getriebenen Ökonomie war es in vielen Nationen völlig normal und nie hinterfragt worden, dass gewisse Schlüsselbereiche in staatlicher Regie blieben. Energieversorgung, Mobilität, Kommunikation, Bildung war nahezu komplettes Staatsmonopol. Dies verzögerte die Entwicklung der Produktivkräfte nicht, sondern beförderte sie sogar, indem so „gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer“ geschaffen wurden. Im Kontext der Globalisierung hat, insbesondere nach dem Ende des Systemwettstreits zwischen sozialistischem Plan- und kapitalistischem Marktwirtschaftsmodell, eine totale Marktradikalisierung stattgefunden. Mobilität, Energieversorgung, Kommunikation sind heute fast komplett privatwirtschaftlich organisiert und damit den (erratischen) Gesetzen des Marktes unterworfen. Auch im Reproduktionsbereich sind die Entwicklungen weit fortgeschritten. Im Gesundheitswesen überwiegt der Markt bereits, in der Bildung bauen sich Unternehmen zunehmend eigene Bildungsinstitutionen, selbst die Altersversorgung ist heute ohne private Anbieter nicht mehr funktionsfähig. Hier bedarf es eines Umdenkens und Umlenkens, insbesondere unter Einschluss der digitalen Schlüsselstrukturen. Selbst innerhalb marktwirtschaftlicher Zukunftsvisionen erscheint es sinnvoll, Strukturen wie z. B. die Internet-Technologie, die Sicherstellung ihrer Energieversorgung, Anbieter von elementaren Dienstleistungen wie Facebook oder Google staatenübergreifend zu vergesellschaftlichen. Das Internet ist zu wichtig, um es der US-Administration und/oder privaten Konzernen zu überlassen, es ist im Grunde eine UN-Aufgabe.

Teilhabe an der Digitalisierung – Teilhabe durch Digitalisierung

Gleiches gilt für den Zugang zu „Big Data“. Die exklusive Nutzungsmöglichkeit umfangreicher Erkenntnisse auf Basis global erhobener Datensätze ist eines der größten Risiken für ungleiche Entwicklung von Gesellschaften. Eine Vergesellschaftung von Big Data durch öffentlich zugängliche, datenschutzsicher anonymisierte, kostenfrei für jeden nutzbare Datenbanken wird in diesem Zusammenhang zu einer zentralen Forderung. Hinzu kommt die Einführung eines universellen Menschenrechts auf digitale Teilhabe, umgesetzt u. a. über kostenlose Internet-Strukturen.

Noch völlig unterentwickelt sind digitale Teilhabestrukturen. Man kann digital mit unfassbaren Vermögenssummen spekulieren, fast alles kaufen und sich am nächsten Tag ins Haus liefern lassen, aber zur politischen Willensbildung muss man nach wie vor alle vier Jahre ins Wahllokal marschieren und mit Bleistiften auf Papierzetteln Kreuze machen. Dabei geht es auch anders, wie zum Beispiel das CONSUL-Projekt in Madrid (www.consulproject.org) oder das Themis-Projekt in Filderstadt (Rinne 2018) zeigen, dass nämlich die digitalen Möglichkeiten einen permanenten Austausch, regelmäßige Willensbildung, gemeinsame Diskurse und Themensetzungen möglich machen. Nur wenn wir die Digitalisierung offensiv für die Demokratisierung nutzen, besteht auch eine Perspektive für eine demokratische Kontrolle der Digitalisierung selbst. Gerade „Smart“-Konzepte wie Smart Cities im lokalen Bereich oder Smart Grids in der Energieversorgung bergen hohe Gefahren des Missbrauchs der dafür nötigen und dadurch gewonnenen Daten. Dies verhindert gesellschaftliche Kontrolle in Form digitaler Beteiligung der Betroffenen an der Willensbildung. Dies gilt für alle gesellschaftlichen Bereiche, in denen künstliche Intelligenz (KI) gedacht und experimentiert wird. Dort, wo KI Lebensumstände steuert, ist gesellschaftliche Kontrolle unbedingte Voraussetzung.

Der wahre ökologische Preis der Digitalisierung

Ökologen fordern seit langem, dass Marktpreise „die ökologische Wahrheit“ sagen müssen. Dies meint, dass in die Preisgestaltung (insbesondere durch Subventionen oder Besteuerung) die ökologischen Folgekosten einfließen müssen. Sämtliche Schadschöpfung muss der Wertschöpfung gegenübergestellt werden. Aktuelle Debatten um die Einführung einer CO2-Steuer zeigen, dass dieser Ansatz im Prinzip durchaus an Zustimmung gewinnt. Ob und wie konsequent er realisiert werden wird, bleibt spannend.

Wie hoch der Preis für den Ausstoß von CO2 sein müsste, zeigen unterschiedliche Modellberechnungen, die auf Grundlage der wirtschaftlichen Folgekosten von Emissionen („social cost of carbon“) die externen Kosten beziffern. Laut Cai et al. (2013) müsste der Ausstoß einer Tonne CO2 200-mal so viel kosten wie heute, um allein die wirtschaftlichen Folgeschäden des Klimawandels widerzuspiegeln. Keine Regierung wird Wirtschaft und Industrie solche hohen Kosten zumuten wollen. Auch diese Herausforderung wird von nationalen Politikstrukturen kaum bewältigt werden können. Dennoch führt letztlich daran kein Weg vorbei. Das gilt in besonderem Maße auch für die ökologischen Kosten digitaler Angebote und Geschäftsmodelle; diese sind, wie wir in einigen Beiträgen in diesem JAHRBUCH ÖKOLOGIEgesehen haben, durchaus beachtlich.

Aber auch über eine ökologische Besteuerung von Elementen der Digitalisierung ist nachzudenken, die bislang eher wenig Beachtung finden: Elementare Grundlage staatlicher Steuerpolitik des Industriezeitalters war stets die Besteuerung der Produktionsfaktoren (u. a. Rohstoffe, Arbeit, Energie). Schon 1997 schlugen Wissenschaftler vor, den Produktionsfaktor Information zu besteuern: „Der neue Wohlstand der Nationen findet sich in den Billionen der digitalen Informationsbits, die durch globale Netzwerke pulsieren. Dies sind die physischen/elektronischen Repräsentanten der vielen Transaktionen, Gespräche, Stimm- und Videonachrichten und Programme, die zusammen den Prozess der Produktion, des Vertriebs und des Verbrauches in der neuen Wirtschaft darstellen“ (Cordell et al. 1997). Bleibt hinzuzufügen: Es sind auch nicht unerhebliche ökologische Kosten, die für die Erstellung dieser Datenmengen anfielen. Cordell et al. schlugen entsprechend eine Steuer auf Bits vor. Gering, aber in der Summe hoch genug, um damit die Bekämpfung der negativen Effekte der Digitalisierung bzw. Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung zu finanzieren. Diese Bit-Steuer unterstützt auch der Club of Rome in seinem aktuellen Bericht (Weizsäcker et al. 2017).

Wie eine solche „ökologische Bepreisung der Digitalisierung“ letztlich ausgestaltet wird, ist noch völlig offen. Dass aber ausgerechnet die zentrale Produktivkraft des 21. Jahrhunderts für die durch sie induzierten ökologischen Kosten faktisch nicht zur Kasse gebeten wird, ist eines der drängendsten Handlungsfelder der kommenden Jahre.

Fazit

Es wird eine „Ökologie der digitalen Gesellschaft“ benötigt. Als angewandte und politische Teildisziplin der Ökologie muss sie als Wissenschaft mehr leisten, als lediglich die stofflichen oder energetischen Footprints der Technologie und ihrer Anwendungen zu bewerten. Es geht um eine recht umfassende proaktive Technikfolgenabschätzung und -bewertung, die die Wechselwirkungen der Digitalisierung mit allen konventionellen Stressoren von ökologischen und sozialen Systemen einschließt. Die Ökologie der digitalen Gesellschaft wird auch die Vision einer sinnvollen Nutzung der Technologie für eine sozial-ökologische Transformation entwerfen und die Gesellschaft mit Argumenten und Ideen versorgen müssen. Eine Unterteilung nach Systemebenen wie in diesem Text vorgeschlagen bietet eine heuristische Systematisierung in Systeme unterschiedlicher Größenordnung und Einbettung an. Das kann Komplexität reduzieren, ohne in die alten Kategorien der Sektoren, Nachhaltigkeitsdimensionen oder Nationalstaaten zu fallen, die uns angesichts der rasanten Vernetzung kein ausreichendes Verständnis der Zusammenhänge mehr bieten. Es geht wesentlich auch darum, dass wir uns nicht diskurs- und sorglos in eine unumkehrbare Pfadabhängigkeit begeben, die nicht nur eine finale Beschleunigung der Naturressourcen-Mobilisierung bewirkt, extreme Ungleichheiten hervorbringt und dabei noch die letzten verbliebenen demokratischen Kontrollinstrumente mit vernichtet und hochfragile, weil auf monetäre und zeitliche Effizienz programmierte Versorgungssysteme schafft.

Die vorsorgende Ökologie der Digitalisierung bedeutet auch, dass wir uns stark machen für eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und für das Vorhalten und Bewahren des scheinbar gestrigen Analogen. Es geht um den Kampf für unsere auf ewig analogen Lebensgrundlagen, die Ökosysteme, und um die Verhinderung der völligen konzeptionellen Entkopplung von ihnen – und nicht zuletzt auch um die Bewahrung unserer zwangsläufig analogen Menschlichkeit. Letztlich wird es in den Auseinandersetzungen der kommenden Jahre darum gehen, ob die digitale Revolution eine gesellschaftliche Aneignung erfährt und so zur Grundlage einer Transformation zu einer regenerativen Lebens- und Wirtschaftsweise wird oder ob sie weiter ungesteuert als Instrument eines Hyperextraktivismus mit verheerenden Folgen für Klima, Natur und Mensch wirkt.

Literatur

Yongyang C., K. L. Judd, T. S. Lontzek (2013): The Social Cost of Stochastic and Irreversible Climate Change. NBER Working Paper No. 18704.

Cordell, A. J., T. R. Ide, L. Soete, K. Kamp (2017): The New Wealth of Nations: Taxing Cyberspace. Toronto.

Weizsäcker, E.-U. et al. (2017): Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Bericht des Club of Rome. Gütersloh.

Rinne, J. (2018): Das Themisprojekt. Online verfügbar unter: https://www.themis-fildertstadt.de. Zuletzt aufgerufen am 10.07.2019.

 

Als Horst Stern gemeinsam mit 62 anderen Menschen, darunter Günter Altner, Erhard Eppler, Günter Grass, Bernhard Grzimek, Hans Günter Schumacher und Udo Simonis, im Juni 1982 den Aufruf zur Gründung der Deutschen Umweltstiftung veröffentlichte, begann eine einmalige Erfolgsgeschichte. Bis heute sind über 3.500 Menschen diesem Aufruf gefolgt und Stifter der Deutschen Umweltstiftung geworden. Mit ihr begann auch das damals in Deutschland unbekannte Modell der Bürgerstiftung seinen Siegeszug. Heute existieren über 300 meist kommunale Bürgerstiftungen in Deutschland.

Die Deutsche Umweltstiftung nahm 1982 ihre Arbeit auf. Horst Stern feierte in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag und hatte schon zahlreiche Jahre seines Wirkens hinter sich.

Horst Stern, der nicht nur maßgeblich zur Gründung unserer Stiftung beitrug, sondern über Jahrzehnte hinweg eine der lautesten und überzeugendsten Stimmen für den Umweltschutz war, erblickte 1922 in Stettin die Welt. Sein Weg zum Journalismus – und zum Umweltschutz – war kein direkter. Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann wurde er in die Wirren des Weltkrieges verstrickt. Er überlebte seinen Kriegsdienst, landete in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, entwickelte sich dort zum Dolmetscher und war auch nach seiner Entlassung noch einige Zeit für die US-Armee in Deutschland tätig. Bei der Stuttgarter Zeitung begann sein Einstieg in den Journalismus – als Gerichtsreporter.

Seine Liebe zur Natur konnte er schließlich zunächst als Produzent von Schulfunksendungen beruflich einbringen. Eine Tätigkeit, die zeitlebens seinen Aufklärungsstil prägen sollte. Auch als er ab 1969 seine Sendung „Sterns Stunde“ im deutschen Fernsehen präsentieren konnte, prägte diese ein sehr sachlicher, faktenorientierter, aber intellektuell scharfer Stil. Ganz anders als sein Kollege und Konkurrent Bernhard Grzimek verpackte er seine Botschaften nicht in entspannte Plaudereien in Begleitung von Tiger- oder Schimpansenbabys im Studio. Horst Stern ging dahin, wo es wehtut, er zeigte, was wehtat und er präsentierte es auch so. Er schrieb Mediengeschichte, indem er Zirkushaltung beobachtete, den Ekel vor Spinnen nahm, die Überzüchtung von Hunden aufdeckte, die Überpopulation von Hirschen als waldschädlich geißelte. In den Dokumentationen zeigte Stern einerseits die eindrucksvolle Schönheit der heimischen Fauna. Andererseits übte er nachhaltig Kritik am menschlichen Umgang mit Tieren. Sein investigativer Naturjournalismus machte ihn bundesweit bekannt.

Er wollte nicht unterhalten, er wollte aufrütteln, und es frustrierte ihn, dass ihm das trotz seiner 26 Filme noch zu wenig gelang. Das führte schließlich dazu, dass er sich auch organisationspolitisch auf die Seite der Umwelt- und Tierschützer schlug. Er wurde zum Mitbegründer des Bund für Umwelt und Naturschutz und eben auch der Deutschen Umweltstiftung – dazu fand er sich dann auch mit Bernhard Grzimek zusammen.

Mit seiner eigenen Zeitschrift „natur“ schrieb er unermüdlich gegen eine naturvergessene und naturverachtende Welt an.

Seine scharfe, analytische Kritik galt nicht nur anderen. Er schonte auch sich selbst nicht. Als er 1998 in einem Zeitzeugeninterview im Fernsehen zu seinem Lebenswerk befragt wurde, sagte Horst Stern: „Ich habe eigentlich immer nur in den Köpfen und Herzen der Ohnmächtigen etwas bewirkt, in den Köpfen der Mächtigen so gut wie gar nichts.“

Mit Horst Sterns Tod verliert die Bundesrepublik eine bedeutende Figur in der Geschichte des deutschen Umweltschutzes. Seine Fähigkeiten als herausragender Journalist, verknüpft mit seiner ökologischen Überzeugung, ließen ihn der Natur eine Stimme geben. Er warnte frühzeitig vor einem zerstörerischen Umgang mit ihr und prangerte Missstände an.

Sterns Wirken prägt den heutigen Umweltschutz. Auch wenn er seinen Einfluss selbst anzweifelte, trug er nachweislich dazu bei, den Umweltschutz aus den Köpfen weniger in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Sein Wirken hat nicht nur mich persönlich, sondern auch viele weitere Menschen ermutigt, sich aktiv als Umweltschützer zu engagieren und seine Ideale zu unterstützen.

Manchmal wünsche ich mir die Stimme von Horst Stern herbei. Er hätte sicher auch heute noch viel zu sagen. Ob Dieselskandal, Kohleausstieg, Klimaschutz, Ferkelkastration – noch immer bestimmen die Naturvergessenen und Naturverächter weite Teile der Gesellschaft und noch immer könnte die scharfe Kritik eines Horst Stern Betroffenheit auslösen.

Es bleibt noch viel zu tun, zum Glück engagieren sich immer mehr, insbesondere auch junge Menschen für seine, für unsere Ziele. Die gerade entstehende Klimastreikbewegung der Schülerinnen und Schüler sind nur ein Beispiel dafür. Nur wenige dieser jungen Menschen dürften den Namen Horst Stern kennen. Ich weiß, dass wäre ihm egal. Er, der immer auf die junge Generation setze, hätte sich einfach nur gefreut.

Mit Horst Stern verliert die Umweltbewegung einen ihrer ganz Großen. Es bleibt die Botschaft ans uns alle: Was die Großen angefangen haben, müssen die Vielen vollenden.

Danke, Horst Stern!

Jörg Sommer
Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Umweltstiftung

 

Die Entwicklung hin zu einer „durchdigitalisierten“ Gesellschaft geht oft mit dem Versprechen einher, die ökologische Krise technisch lösen zu können und Ressourceneffizienz voranzutreiben bzw. die wirtschaftliche Entwicklung gar zu dematerialisieren. Doch dies scheint einseitig und recht optimistisch gedacht. Zu Recht befürchten viele Akteure, dass Digitalisierung auch den Ressourcenkonsum ankurbelt. Das gilt zum Beispiel für bestimmte Rohstoffe durch verstärkten Einsatz von (kurzlebiger) Elektronik und Sensorik etc. Die Deutsche Rohstoffagentur geht davon aus, dass 2035 fast viermal so viel Lithium gebraucht wird wie 2013 und bis 2050 mehr als dreimal so viel Kupfer wie 2010. Man spricht vom Zeitalter der Informationstechnologie, welches das fossile Zeitalter ablöse und nun auf metallischen Rohstoffen fuße. Dabei müssen allerdings immer aufwendigere Verfahren angewandt werden, um an die Rohstoffe zu gelangen.

Die Beiträge im vorliegenden JAHRBUCH ÖKOLOGIE diskutieren direkte und indirekte Folgen der Digitalisierung auf Ökosysteme und Gesellschaft – teilweise im Hinblick auf komplexe Wirkungen, die bisher in anderen Arbeiten unbeachtet blieben. Die meisten Autorinnen und Autoren schildern Entwicklungen und Perspektiven der Digitalisierung als höchst widersprüchlich.

Einerseits waren wir noch nie so digitalisiert wie heute. Noch nie zuvor war die Menschheit in der Lage, die Situation der Erde quasi in Echtzeit zu vermessen und zu beurteilen, wie wir es heute tun. Niemals standen großen Teilen der Weltbevölkerung derart viele Daten und Informationen für Bildung und Entscheidungsfindung frei zur Verfügung. Andererseits haben wir noch nie so viele Ressourcen verbraucht und vergleichbar umfassend auf die lebenswichtigen ökologischen Systeme des Planeten eingewirkt. Die Nutzung und die Verschleuderung umweltschädlicher fossiler Ressourcen schreiten ungebremst zu neuen Rekordhöhen voran. Und noch nie entfernten sich Positionen von Meinungsführern und politischen Entscheidungsträgern so weit von wissenschaftlichen Erkenntnissen wie heute. Informationsexplosion und Digitalisierung sind eine Spätfolge der Aufklärung. Aber sie befördern nicht nur Wissen und Einsicht, sondern auch Verwirrung, Ambivalenz und Manipulation.

Wir bewegen immer größere Datenmengen. Dabei geht es nicht nur um den Zustand der weltweiten Wälder oder die globale Erwärmung, sondern auch um den massiven Austausch von Musik- und Katzenvideos. Leider ist auch das gefährlich für die Umwelt. Schon heute beträgt der Anteil des Internets am deutschen Stromverbrauch rund acht Prozent. In diesem Bereich werden Steigerungen von 30–50 %bis zum Jahr 2030 erwartet. Global gilt: Wäre das Internet ein Staat, wäre es der sechstgrößte Energieverbraucher der Welt. Hinzu kommen gesellschaftliche Verwerfungen durch mächtige transnationale Konzerne. Apple, Facebook, Google & Co treiben die Digitalisierung voran und lassen sich als Weltverbesserer feiern. Faktisch sind sie gleichzeitig Treiber unglaublicher Ressourcenvernichtung und entziehen ihre Profite der gesellschaftlichen Verantwortung, indem sie weitgehend steuerfrei operieren.
Die durch die Digitalisierung ermöglichten neuen Geschäftsmodelle sind häufig alles andere als nachhaltig. Das Beispiel des privaten Fahrdienstvermittlers Uber zeigt, dass sich das von Internet-Communitys gepriesene Teilen, Weitergeben und Kollektivnutzen von Dingen und Dienstleistungen auch als „brachialkapitalistisches“ Teufelszeug erweisen könnte. Und ist der Carsharing-Hype nicht zumindest fragwürdig, wenn immer mehr Freefloating-Autos unsere Innenstädte verstopfen und dem ÖPNV Kunden abspenstig machen? Viele Beispiele zeigen: Eine neue Wertschöpfungs- und Konsumkultur jenseits von Gier, Haben und schicken Skalierungseffekten ist kein Kinderspiel.

Selbstfahrende Autos, intelligente Verkehrsführung, Elektroautos als Energiespeicher, symbiotische Kombinationen von öffentlichem und individuellem Verkehr – in wenigen Bereichen wird die Digitalisierung mit so viel Fantasie vorangetrieben wie im Bereich der Mobilität. Aber setzt sich am Ende tatsächliche eine neue, nachhaltige, ressourcenschonende Mobilität durch? Oder sind die bisher gedachten Konzepte nur ein Versuch, ein totes Pferd weiterzureiten?

Ähnlich sieht die Situation in der Landwirtschaft aus: Mithilfe zahlreicher Daten zum Beispiel zur Bodenbeschaffenheit und Informationen zur Landnutzung durch Luftbildanalysen kann die Landwirtschaft die Ressourcen effektiver nutzen, den Düngemittel-, Wasser- und Pestizidverbrauch pro Fläche reduzieren und insgesamt etwas ökologischer produzieren. Doch die landnutzungsbezogene Datenmenge und der Zugriff darauf implizieren auch Risiken und neue Abhängigkeiten.
Hinzu kommt: Unsere prinzipiell technikgläubige und wachstumsfixierte Industriegesellschaft hat sich schon immer schwer damit getan, die langfristigen Folgen technischer Innovationen abzuschätzen. Der Einstieg in die Atomstromproduktion ohne gleichzeitigen Bau einer sicheren Endlagerstätte für die hochradioaktiven Abfälle ist dafür nur ein besonders drastisches Beispiel. Die zunehmende Digitalisierung scheint das Problem mangelnder Technikfolgenabschätzung jedoch aufgrund ihrer hohen Innovationsgeschwindigkeit und vielerlei für Konsumenten attraktiver Begleiterscheinungen noch weiter zu verschärfen. „Digitale Havarien“, ausgelöst durch winzige Fehler in komplexen Algorithmen, können nicht nur Aktienkurse abstürzen lassen, sondern auch dramatische Umweltschäden verursachen.
In fast allen Bereichen sind die ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung ambivalent. Wie sieht es aber mit dem Nutzen der Digitalisierung für ökologisch engagierte zivilgesellschaftliche Akteure aus? Die Digitalisierung hat neue Formen gesellschaftlichen Wirkens erst möglich gemacht. Campact z. B. ist ein Kind der digitalen Generation und eine Non-governmental-Organization (NGO), deren digitalgetriebene, auf klassische Verbandsstrukturen verzichtende Arbeitsweise sich fundamental von derjenigen traditioneller Umweltverbände wie BUND, NABU, Naturfreunde u. a. unterscheidet. SumOfUs Ist eine der erfolgreichsten globalen Mobilisierung- und Fundrasising-Maschinen. Mehr Menschen, schneller mobilisiert, organisatorisch aber unverbindlicher eingestellt – ist das die Zukunft der Ökologiebewegung? Macht diese die großen Umweltverbände überflüssig? Ist es eine Konkurrenz? Entwickelt dies Reformdruck? Bedarf es neuer Formen der Kooperation? Ist die Digitalisierung eher Fluch oder Segen für die Umweltbewegung und ihre Ziele?

Auch für die Nutzung der Digitalisierung durch die Umweltbewegung gilt: Bislang gibt es viel Innovation, aber nicht genügend kritische Reflexion ihrer Begleiterscheinungen. Diese aber brauchen wir, wenn wir uns den Digitalisierungsprozessen und ihren Wirkungen nicht hilflos ausliefern wollen. Wir müssen deshalb lernen, die digitale Revolution ökologisch zu verstehen, d. h. ihre ökologischen Folgewirkungen und Mechanismen herauszuarbeiten, um sie dadurch letztlich auch politisch steuerbar zu machen. Um eine ökologische Trendwende in der Digitalisierung herbeizuführen, bedarf es einer „Ökologie der Digitalisierung“. Diese sollte nicht voraussetzen, dass aus Daten- und Informationsgewinnung automatisch ein systemisches Verständnis dieser Technologie folgt. Es geht um die Analyse der Digitalisierungswirkungen auf allen Systemebenen und die Interaktion zwischen ihnen – über alle sozialen und ökologischen Systeme hinweg.

Auch hierzu präsentieren gleich mehrere Autoren des vorliegenden Bandes des JAHRBUCH ÖKOLOGIE ihre Forschungen und Überlegungen. Von einem umfassenden ökologischen Verständnis der digitalisierten Gesellschaft sind wir allerdings noch weit entfernt.

Nach wie vor ist unklar, ob und in welchem Ausmaß die Digitalisierung von Kommunikation, Dienstleistung und industrieller Produktion den Übergang in die Nachhaltigkeit fördert – oder ihn gar behindert. Offensichtlich gibt es keine Zwangsläufigkeit in den ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung. Mehr digital macht die Welt nicht automatisch „zu einem besseren Ort“, wie es das Mantra der digitalen Startups behauptet.

Die Digitalisierung findet statt, die ökologischen Wirkungen sind mannigfaltig, direkt und indirekt. Die „große digitale Transformation“ läuft, auch ohne, dass wir sie kritisch verstehen und diskutieren. Umso wichtiger ist: Die aktuelle Digitalisierungsdynamik muss von einer kritischen Wertediskussion begleitet werden. Den Fragen „Warum sollten wir?“ und „Was sollten wir nicht?“ gebührt ein angemessener Raum im öffentlichen Diskurs. Mehrere Beiträge in diesem Jahrbuch werben für die „Ökologisierung der digitalen Gesellschaft“ als eine unverzichtbare Aufgabe, für die Schaffung einer entsprechend neuen angewandten und politischen Teildisziplin der Ökologie.

Wir brauchen die Vision einer sinnvollen Nutzung der Technologie für eine sozial-ökologische Transformation auf Grundlage einer umfassenden proaktiven Technikfolgenabschätzung und -bewertung, die die Wechselwirkungen der Digitalisierung mit allen konventionellen Stressoren von ökologischen und sozialen Systemen einschließt.

„Die Forderung nach einer guten Gesellschaft ist ehrgeiziger als die nach der besseren“, sagte Erhard Eppler. Die Dynamik der Digitalisierung macht das Ringen um diese gute Gesellschaft nicht einfacher. Aber eben auch nicht weniger bedeutend.

Die Herausgeber, im Juli 2019

Mit dem JAHRBUCH ÖKOLOGIE 2001 wird das zehnte Buch einer Reihe vorgelegt, die 1992 begann. Die Herausgeber wollten in dieser Reihe Beiträge zur Ökologie präsentieren, die über die ökologische Belastung und die Belastungstrends unterrichten, die staatliche Umweltpolitik analysieren und kritisieren, historisch bedeutsame, umweltbezogene Ereignisse und Initiativen dokumentieren, Visionen einer zukunftsfähigen Welt entwerfen und Wegweiser aufstellen, die dem suchenden Schritt eine Richtung weisen. Die Herausgeber erhofften sich neben der Präsentation auch einen Disput zu dem einen oder anderen wichtigen umweltpolitischen Thema.

Solche Ziele waren anspruchsvoll und sind es immer noch. Sie zehn Jahre lang immer wieder anzustreben, sie aktuell zu definieren und jeweils ein Buch mit Beiträgen von rund 300 Seiten zu produzieren ist eine Leistung an sich. Eine Leistung, zu der ich den Herausgebern gratuliere, und sie ermutige, diese Kärnerarbeit auch künftig fortzusetzen.

Es ist aber auch eine Leistung des Verlages. Ein jeder, der im Publikationsgeschäft Erfahrung hat, weiß, wie mühsam es ist, nicht der Versuchung zu erliegen, die schnelle Mark machen zu wollen, sondern perspektivisch eine Reihe aufzubauen, von der man annehmen kann, dass sie zum Profil des Verlages beiträgt, dass sie als verlegerische Leistung einen Eigenwert hat und auch die nötige wirtschaftliche Basis finden wird.

Eine Zusammenstellung von Themen, die einem breiten Ökologiebegriff genügen, der nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch im Alltag verankert ist, ist zwar von großem Reiz, aber auch mit der Gefahr verbunden, zum Almanach zu werden, zu einem Bilderbuch der ökologischen Beliebigkeiten zu verkommen. Dass dies in den zehn Jahren nicht erfolgte, ist eine besondere Leistung der Herausgeber. Jeder von ihnen steht für Qualität in Wissen und in Haltung. Damit wird sichergestellt, dass die Auswahl der Beiträge von hoher Qualität ist und die Linie in den laufenden Jahrbüchern gewahrt bleibt.

Nicht zuletzt sei auch auf die Qualität der redaktionellen Arbeit verwiesen. Die gebotene Vielzahl der Beiträge mit ihren unterschiedlichen Fachsprachen und Erfahrungshintergründen, mit persönlichen Eitelkeiten und sprachlichen Modernismen drohen jede Ausgabe zu sprengen. Hier strikte Redaktionsregeln durchzuhalten, eine klare Sprache zu finden und einen intellektuellen Spannungsbogen aufzubauen ist eine weitere Qualität jedes einzelnen Bandes. Aber lassen Sie uns doch die wichtigsten Inhalte der zehn Jahre Revue passieren:

  • Perspektiven
  • Weltethos und die Wissenschaften
  • Politikinnovation auf der globalen Ebene
  • Verantwortung ökonomischer Eliten
  • Umweltpolitik 2000 und neue Spielregeln
  • Prinzipien ökologischen Überlebens
  • Gentechnische Entwicklungen
  • Chemiewende
  • Ökologischer Machiavellismus
  • Ökologischer Generationsvertrag
  • Die Zukunft der Arbeit
  • Wann ändern Menschen ihr Verhalten?
  • Ökologie der Zeit
  • Umweltmoral und Umweltökonomie
  • Alte Märchen und neue Wirklichkeit
  • Neue Männer braucht die Ökologie
  • Schwerpunkte
  • Golfkrieg und Umweltzerstörung
  • Klimapolitik
  • Chemiediskurs
  • Mülldiskurs
  • Rüstungskonversion
  • Mobilität und ökologische Verkehrspolitik
  • Artenvielfalt
  • Landwirtschaft und Ernährung
  • Umwelterziehung
  • Ökologische Ökonomie
  • Internationalisierung der Umweltpolitik
  • Kinder und Umwelt
  • Frauen und Umwelt
  • Ökologische Lebensstile
  • Tourismus und Umwelt
  • Umweltmedizin
  • Stoffströme und Stoffkreisläufe
  • Zukunftsfähigkeit des Nordens
  • Zukunftsaufgabe Wasserschutz
  • Zukunftsaufgabe Bodenschutz
  • Lokale Agenda 21
  • Erneuerbare Energien (Wind und Sonne)
  • Umwelt-Verfassung
  • Dispute
  • Verkehrspolitik für oder gegen das Auto?
  • Auf dem Weg zur Ökodiktatur?
  • Für die Umwelt mit der Gentechnik?
  • Ökologische Produktion?
  • Das größte globale Umweltproblem
  • Neue Medienwelt und Umwelt
  • Deutschland auf dem Weg zur Nachhaltigkeit?
  • Erdmanagement – Vision oder Alptraum?
  • Das Jahr 2000 – Zeit zum Umdenken.
  • Umweltpolitikgeschichte
  • Exempel, Erfahrungen, Ermutigungen
  • Spurensicherung

In dieser Aufzählung finden sich alle wichtigen Themen im Umweltschutz der 90er Jahre wieder. Die Gliederung des JAHRBUCHS ÖKOLOGIE ist über die Jahre gleich geblieben; sie hat sich bewährt. Die einzelnen Jahrbücher sind wie Schatztruhen mit vielen Schätzen darin; man muss nur darin blättern und sie finden. Oder fehlt ihnen etwas? Hier wären die Herausgeber sicherlich froh über mehr Rückkoppelung, mehr Fragen und Kommentare, von ihren Autorinnen und Autoren, besonders aber von den Leserinnen und Lesern …

Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann würde ich gerne noch mehr erfahren über die Rolle der Wissenschaft im Ökologiediskurs. Welche Rolle haben theoretische Modelle bei Zukunftsprognosen und welche Auswirkungen haben die Ergebnisse auf die politische Diskussion? Wie sagte doch jemand durchaus treffend: “Es kommt darauf an, was hinten rauskommt.” Mich würden die Verknüpfungen mit anderen Wissensgebieten besonders interessieren. So ist es beispielsweise um die Diskussion mit den Biokybernetikern, den Physikern und den Psychologen bei der Frage Ganzheitlichkeit und Transdisziplininarität der Ökologie merkwürdig ruhig geworden. Was ist los mit der als richtig erkannten ökosystemaren Betrachtung? Warum ist der Diskussionsboom der 80er Jahre inzwischen abgeebbt? Was bedeuten Fuzzy-Logik und Chaos-Theorie, Selbstorganisation und Vernetzung für eine machbare Umweltpolitik? Wie müssten sich danach unsere Erkenntnisse, Leitbilder und Wertvorstellungen verändern? Was sind die Botschaften an die Bürgerinnen und Bürger, um den erstrebten Umdenkprozessen zum Durchbruch zu verhelfen? Wie können wir den Übergang zu einem nachhaltigen Wirtschaften bewerkstelligen, ohne dass es allzu viele Verlierer gibt? Wo sind die Strategien für die Verlierer, die es trotzdem geben wird? Der innere Frieden der Weltgesellschaft wird wesentlich davon abhängen, wie die Sieger mit den Verlierern umgehen.

Wir glauben im Allgemeinen, dass wissenschaftliche Erkenntnis die Voraussetzung für rationales Handeln ist. Ob die wissenschaftliche Erkenntnis aber für sittliches Handeln einen Fortschritt bedeutet, zweifle ich immer häufiger an.

Keine noch so lückenlose wissenschaftliche Beweisführung von ökologischen Zusammenhängen wird uns vor der Zerstörung der Natur bewahren. Dies zu verhindern erforderte eine strikte Umweltethik, eine Ethik für die Natur, die das Bewahren und nicht das Nutzen in den Vordergrund stellt – doch diese Einsicht leben wir nicht. Wir brauchen mehr “feeling” für das Wesentliche, das ökologisch Irreversible. Wir brauchen auch mehr Zutrauen zu den intuitiven Reaktionen unseres Körpers. Nicht nur der Kopf soll steuern, wir sollten auch mehr auf den Körper hören.

Überhaupt fällt mir bei der Lektüre der Jahrbücher immer wieder der Begriff Ganzheitlichkeit ein. Ein Begriff, der in den letzten Jahren kaum noch diskutiert wird. Es sind eben keine holistischen Zeiten, und es gibt keine Zeit für transdisziplinäre Ausflüge.

Die Lektüre des JAHRBUCH ÖKOLOGIE vermittelt aber einen Eindruck davon, wie Ganzheitlichkeit entstehen könnte: durch Vernetzung vieler Teile zur Gesamtheit in unseren Köpfen. So entstehen Beziehungsgeflechte, bei denen das Subjektive, die Intuition eine wichtige Rolle spielen. Wie sagte doch der Dichter: “Das Wesentliche lässt sich im Kopf nicht rechnen und mit Worten nicht beschreiben.”

Manon Andreas-Griesebach hat vor etlichen Jahren in ihrem Buch “Eine Ethik für die Natur” eine Typologie der verschiedenen Ganzheitsvorstellungen und ihrer ethischen Implikationen vorgelegt. Ich zitiere zwei Passagen daraus:

Wer menschliches Leben auf diesem Planeten bewahren will, muss viele Zusammenhänge kennen und das Ganze bewahren. Der muss Achtung haben und seine Mitwelt respektieren.

Wenn es gelänge, das Bewusstsein vieler Menschen mit der festen Überzeugung auszufüllen, dass die Erde und ihre Lebenselemente Wasser, Luft, Boden, Wärme, Atmosphäre zusammen mit den Menschen und Tieren und Pflanzen ein Ganzes bilden, dass sie aufeinander angewiesen sind, voneinander abhängig, wechselnd zwar in jeweiligen Zusammensetzungen in verschiedenen Zeiten verschiedene Ganzheiten bilden, aber immer doch zusammen, wenn es gelänge, dies als unverlierbares Erbgut einzupflanzen, dann müsste sich ein fundamentales Bedürfnis entwickeln, das Ganze zu achten und nach Kräften zu erhalten. Ganzheitsvorstellungen sind so Grundlage für die Achtung des Nichtmenschlichen und Ganzheit der entscheidende ethische Leitstrahl.

Welch wunderbare Übereinstimmung stellt sich dazu ein, wenn man James Lovelock’s GAIA-Hypothese liest. Es ist die Ganzheit aus der Sicht eines Naturwissenschaftlers.

Ein Bereich, über den ich ebenfalls gern mehr erfahren würde, ist der Zusammenhang von Kunst, Ästhetik und Ökologie. Mir erscheint es bemerkenswert, dass in der Nachhaltigkeitsdebatte die Ästhetik der Lebensführung mit all ihren sinnlichen, formalen und inhaltlichen Aspekten eine eher untergeordnete Rolle spielt. Dabei ist dieser ästhetische Ansatz bei der Gestaltung der neuen Lebensphilosophie höchst ergiebig und reizvoll. Auch die Rolle der Kunst als umfassendes, global wirksames und zugleich individuelles Instrument der Umweltbeobachtung wünsche ich mir ausführlicher dargestellt. Und schließlich würde sich jeder Techniker wohl auch über den einen oder anderen Technikbeitrag freuen, denn Technik hat viel mit Kunst und Künsten zu tun. Der Veränderung der Technik verdanken wir ja, ob wir es erkennen oder nicht, viele Verminderungen der früheren Umweltbelastungen.

Diese kurzen Hinweise sollten beileibe nicht als Kritik verstanden werden. Das JAHRBUCH ÖKOLOGIE entsteht ja mit viel Spontaneität und einem sensiblen Gefühl für das augenblicklich Interessierende. Und das ist gut so, denn das Erstellen der Bücher ist kein Selbstzweck. Sie wollen auch verkauft sein. Und Verkauf braucht Käuferinnen und Käufer, die sich bevorzugt an Aktuellem auszurichten pflegen. Ich finde es überhaupt bemerkenswert, dass im Zeitalter von Internet und von amazon.de solche anspruchsvollen Bücher noch auf den Markt zu bringen sind. Wie lange noch? Oder gehört das Buch als haptisches und ästhetisches Erlebnis auch weiterhin zu der von uns gewünschten Welt?

Ich habe danach gefragt, wer diese Aufsätze in Zeiten des Internets denn noch kauft und liest. Genau so lässt sich die Frage stellen, warum denn solche Beiträge noch geschrieben werden. Welchen Grund könnte es dafür geben? Dazu habe ich im JAHRBUCH ÖKOLOGIE 1997 einen Text von Günter Kunert gefunden, den ich auszugsweise zitieren möchte:

“Warum schreiben? Das Motto ist ganz simpel: um zu leben …
Schreiben: weil der Umwandlungsprozess, bei dem ich Text werde, ein dialektischer Regenerationsprozess ist. Ich verliere und gewinne zugleich … Man zieht in die Fremde, die man selber ist; zur Entdeckung des unpersönlich Allgemeinen, das man höchstpersönlich innehat.
Schreiben: damit sich ereignet, was jeder insgeheim wünscht; dass der Moment einen Moment lang Dauer behält und immer wieder erreicht werden kann.
Schreiben: ein wellenartiges Sichausbreiten nach allen Seiten, das Grenzen ignoriert und immer mehr und immer Unbekannteres einbezieht und erhellt.
Schreiben: weil Schreiben nichts Endgültiges konstituiert, aber Impulse gibt; weil es ein unaufhörlicher Anfang ist, ein immer neues erstes Mal.
Solange man schreibt, ist der Untergang gebannt, findet Vergänglichkeit nicht statt, und auch dazu schreibe ich: um die Welt, die pausenlos in Nichts zerfällt, zu ertragen.”

Mir ist diese Antwort ausreichend. Ich denke, wir sollten die Herausgeber ermutigen, auch weiterhin ökologisch Interessierte und ökologisch Neugierige zum Schreiben zu bewegen, auf dass sich das JAHRBUCH ÖKOLOGIE weiterentwickeln kann zur wichtigsten, anspruchsvollen, aber verständlichen Dokumentation ökologischer Themen und zur Dokumentation derer, die sich damit beschäftigen und sich dafür engagieren.

Noch ein besonderes Lob zum Schluss. Bei aller Beschreibung und Deutung des Seienden oder des Kommenden fällt mir der Satz ein:

“Was einer kann, kann er erst zeigen, wenn er es macht.” Die hundert in zehn Jahren beschriebenen konkreten, gelebten Beispiele in der Rubrik Exempel, Erfahrungen, Ermutigungen erscheinen mir als eine ganz außerordentliche Attraktion des JAHRBUCHs ÖKOLOGIE: Nicht nur die großen Dichter/innen und Denker/innen sollen zu Wort kommen, sondern auch die Macher/innen und Tüftler/innen, diejenigen, die tatsächlich Beispiele gesetzt haben und zeigen, wie man in dieser zementierten, bürokratisch verfestigten Welt doch noch etwas ändern kann. So kann die Erfahrung im eigenen Tun Exempel sein und Ermutigung bieten, Veränderungen einzufordern und zu verwirklichen. Denn der Weg entsteht beim Gehen und der, der den ersten Stein aufgehoben hat, hat den Berg schon ein wenig weggeschafft …

Mit Günter Altner (20.9.1936 bis 6.12.2011) haben wir einen großen Virtuosen verloren, einen exzellenten und innovativen Kopf auf unterschiedlichen Wissensgebieten und Praxisfeldern, einen universellen Geist mit weitem Überblick und ausgeprägtem Spezialwissen. Er hat hart an seinen Begabungen und Fähigkeiten gearbeitet, in zwei Fächern studiert und promoviert, in mehr als 30 Büchern seine gewonnenen Erkenntnisse festgehalten und in unzähligen Vorträgen, geschätzten 4000, an vielen Orten des Landes seine Sicht der Dinge präsentiert.

Einer seiner Buchtitel bringt es auf den Punkt: Rund um die Uhr – unterwegs für Umwelt und Frieden.
Mit den Gefährdungen unserer natürlichen Umwelt befassen sich inzwischen viele Wissenschaftler. Er aber war einer der Ersten – und er war dabei ein „Bündnis in Person”. Als Biologe und Theologe verfügte er über eine Sichtkombination, die ihm half – und uns helfen kann – die Natur und den Mensch-Natur-Zusammenhang besser zu verstehen und über die allseits vorherrschende politische und ökonomische Kurzsichtigkeit hinweg zu denken. Er stieg früh in die gesellschaftliche Wirklichkeit mit ihren konfliktreichen Wirtschafts- und Konsumweisen ein und geißelte, aber stets auf verbindliche Art und Weise, die Naturvergessenheit des Menschen – zuletzt als Professor für Theologie an der Universität Koblenz-Landau. Albert Schweitzer lieferte ihm das Leitmotiv für seine Kommunikationsarbeit: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.” Energie wurde Altners großes Sachthema neben Chemie und Gentechnik.

Ausgelöst durch die Konflikte um das geplante Atomkraftwerk in Wyhl und zum Positiven gewendet in der Gründung des Öko- Instituts in Freiburg (1977).

Günter Altner war Mitherausgeber des JAHRBUCH ÖKOLOGIE, eine treibende Kraft bei Vielem, was dort in 20 Jahren an Begleitung der Umweltbewegung geleistet und dokumentiert wurde. In seinem letzten Beitrag ging es um das Thema: Fukushima und wir.

Günter Altner war trotz aller ökologischen Negativerfahrungen ein struktureller Optimist. Und so sah er denn in dem inzwischen erreichten neuen Atomkonsens auch ein Zeichen der überfälligen Wiederinstandsetzung des Politischen gegenüber der strukturellen Macht der Ökonomie.

Wir trauern um ihn und gedenken seiner in großer Dankbarkeit.

Die Herausgeber

Die Beiträge in diesem Jahrbuch zeigen vor allem eines: Wir wissen sehr genau, wo wir in der globalen Umweltpolitik heute stehen. Wir wissen auch recht genau, welches Handeln dringend angesagt wäre. Aber wir haben keine Ahnung, ob sich dieses Handeln in naher Zukunft durchsetzen kann.

Klare Wissenschaftler, engagierte Umweltaktivisten, mutige Politiker und visionäre Unternehmer gibt es. Es gibt aber auch Beharrungskräfte und Pfadabhängigkeiten, antiquierte, aber profitable Wirtschaftsmodelle, zunehmende populistische Trends bis hin zur kompletten Leugnung ökologischer Herausforderungen.

Es gibt also auch weiterhin gute Gründe für kritische Publikationen und engagierte Diskurse zu allen Facetten ökologischen Handelns. Gute Gründe Weiterführung – und Weiterentwicklung des JAHRBUCH ÖKOLOGIE.

In den vergangen 25 Jahren haben sich Herausforderungen, Themen, Erkenntnisse und Akteure der Umweltpolitik verändert. Das JAHRBUCH ÖKOLOGIE hat diese Veränderungen begleitet, ist sich aber konzeptionell treu geblieben. Doch reicht dieses Konzept auch für die kommenden 25 Jahre aus?

Welche Themen, welche Formate, welche Autorinnen und Autoren, welche Zielgruppen sollte das JAHRBUCH ÖKOLOGIE im Fokus haben? Darüber diskutieren wir leidenschaftlich im Herausgeberkreis. Darüber wollen wir uns aber auch mit unseren Leserinnen und Lesern austauschen.

Wir laden Sie deshalb ein, an unserem Diskurs teilzunehmen. Die Möglichkeit dazu bieten wir aktuell auf der Internetseite des Jahrbuches:

www.jahrbuch-oekologie.de

Wir freuen uns über Ihre Vorschläge, Themen, Kritiken und Überlegungen; wir werden darauf antworten und gerne darübe mit Ihnen diskutieren. Unser Ziel ist es, das JAHRBUCH ÖKOLOGIE so zu gestalten, dass es auch die nächsten 25 Jahre einen wertvollen Beitrag zu ökologischem Denken und Handeln leisten kann.

Mit Ihrer Unterstützung kann uns dies gelingen.

Die Herausgeber

„Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ – so die Überschrift des im Frühjahr 2018 unter schwierigen Umständen zustande gekommenen Koalitionsvertrages von SPD und CDU/CSU. Aus ökologischer Sicht ist erfreulich, dass trotz der großen Hektik und der offenkundig stark widerstrebenden Interessen der Akteure zumindest eine Palette von Themen vertreten ist.

Zuvor zeigte der Koalitions-Streit um die deutsche, vom geschäftsführenden Landwirtschaftsminister Schmidt im Alleingang zu verantwortende Zustimmung zur europäischen Entscheidung, das Pestizid Glyphosat für weitere 5 Jahre zuzulassen, wie sehr eine verantwortungsvolle Umweltpolitik auf der Kippe steht. Positiv, dass auf EU-Ebene überhaupt endlich eine solche Entscheidung über ein mögliches Verbot herbeigeführt wurde – traurig, dass sie an Deutschland scheiterte. Schon vor anderthalb Jahrzehnten (vgl. u. a. JAHRBUCH ÖKOLOGIE 2003, 2004) wurde die Agrarwende gefordert und umrissen. Manche Mühlen mahlen langsam, und zuweilen scheint es, dass die Steine, die ins Mahlwerk geraten, eher gröber und härter werden. Positiv ist, dass im aktuellen Regierungsprogramm die Einschränkung der Glyphosatverwendung eingeleitet wird.

Der Glyphosat-Fall zeigt aber auch, wie Umweltpolitik nach wie vor funktioniert: Gift für Gift, Schadstoff für Schadstoff und Problem für Problem. Umweltpolitik ist nach wie vor eine rein reaktive Krisenbewältigungsmaschinerie. Erst, wenn ein Thema in der Öffentlichkeit dank Kampagnen oder akuten Krisen eine kritische Aufmerksamkeitsdichte erreicht wird, kommt es zum Handeln. Es mangelt nach wie vor an der systematischen Umsetzung des Vorsorgeprinzips, und die Strategien sind nahezu ausschließlich reaktiv.

Angesichts der globalen Herausforderungen reicht das nicht. Die deutsche Umweltpolitik ist visionsfrei und wirkungsarm. Sie bietet keine Antworten auf die aktuellen Widersprüche und Umbrüche: Noch nie wussten wir so viel über den Klimawandel, noch nie produzierten wir so viele Treibhausgase. Immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse drängen auf eine globale Neuausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft. Immer mehr demokratische Gesellschaften erweisen sich als labil bis gefährdet, immer öfter wird Politik nicht mehr durch ethische Prinzipien, wissenschaftliche Erkenntnisse oder demokratische Willensbildung bestimmt, sondern durch populistische, oft demokratiefeindliche und menschenverachtende Strömungen.

Eine Entwicklung, die den Herausforderungen der Zeit völlig entgegenläuft. Nicht erneuerbare Ressourcen, insbesondere fossile Energieträger und metallische Rohstoffe, sind ebenso begrenzt wie die Kapazitäten der Ökosysteme, biogene Ressourcen zu Verfügung zu stellen oder Emissionen aufzunehmen. Planetare Belastungsgrenzen, deren Einhaltung für das menschliche Leben essentiell ist, werden bereits überschritten. Wenn alle Menschen bereits so leben, wirtschaften und konsumieren würden wie die Menschen in Westeuropa oder den USA, wäre dieser Planet vermutlich in noch weitaus stärkerem Maße von ökologischen und humanitären Katastrophen geprägt. Die ökologische Selbstvernichtung der Menschheit wird denkbar.

Unbegrenztes Wachsen, Verbrauchen und Wegwerfen sind nicht möglich, denn der Artenverlust nimmt dramatische Ausmaße an, Süßwasser wird zum knappen Gut, Meere werden vermüllt, der Flächenverbrauch steigt ungebrochen, Nähr- und Schadstoffe überlasten Böden und Gewässer, die Erderwärmung schreitet anscheinend unaufhaltsam und mit zunehmender Geschwindigkeit voran.
Die Menschheit steuert auf einen großen Kipppunkt zu. Hauptbetroffen von den globalen Umweltschädigungen sind schon jetzt arme Weltregionen, die gar nicht über die finanziellen, technischen und organisatorischen Mittel verfügen, sich z. B. gegen zunehmende Wetterextreme, Wasserknappheit oder Holzmangel zu schützen. Dabei ist der ökologische Fußabdruck zum Beispiel in Nordamerika mehr als sieben Mal größer als in Afrika. Die Ausweitung des ressourcenintensiven Wirtschaftsmodells auf über sieben und schon Mitte des Jahrhunderts auf fast zehn Milliarden Menschen ist schlichtweg nicht möglich.

Politik darf nicht gegen, sondern muss mit der Natur stattfinden. Die Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen macht auch die Unzulänglichkeiten der bisherigen Nachhaltigkeitspolitik deutlich: Nachhaltigkeit verstanden als Ausgleich zwischen sozialen, ökologischen und ökonomischen Interessen ist gescheitert. Wann immer es ernst wird, werden soziale und ökologische Ansprüche zugunsten wirtschaftlicher Interessen an den Rand gedrängt. Im Anthropozän müssen die Grenzen des quantitativen Wachstums ernst genommen werden: Nachhaltigkeit ist Wirtschaften zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse, zur Beseitigung von Hunger, Armut und Ungleichheit – und das kann nur innerhalb dieser Grenzen, also innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit, stattfinden.

Der Widerspruch zwischen dem Wissen über die Zukunftsgefahren und dem alltäglichen Verhalten von Individuen und Gesellschaften wird größer. In den kommenden Jahren wird sich entscheiden, ob es uns gelingt, diesen Widerspruch zu überwinden. Das stellt die Umweltbewegung und -wissenschaft vor riesige Herausforderungen.

Seit über 25 Jahren versucht das JAHRBUCH ÖKOLOGIE hier seinen bescheidenen Beitrag zu leisten. Ein Vierteljahrhundert ist eine lange Zeit, sie geht auch am Kreis der Herausgeber nicht spurlos vorüber. Mit dem vorliegenden Jahrbuch läuten wir deshalb einen Generationswechsel ein. Mit Gerd Michelsen und Udo Simonis verlassen zwei Menschen aus Altersgründen den Herausgeberkreis, die das Jahrbuch über viele Jahre hinweg maßgeblich geprägt haben. Mit unserem langjährigen Redakteur Udo Simons haben wir deshalb ein langes Gespräch geführt, das wir in diesem Jahrbuch dokumentieren.

Diese Ausgabe selbst, die 26. seit 1992, wird ein Scharnier zwischen dem bisherigen Konzept und einer behutsamen Erneuerung in Verantwortung der neuen (und teilweise alten) Herausgeber sein. Wir glauben, dass wir auch angesichts der eingangs geschilderten globalen Herausforderungen ein spannendes Jahrbuch vorgelegt haben, dass sich im Wesentlichen in drei Teilen mit den Umbrüchen beschäftigt: Nach einigen kritischen Betrachtungen der vergangenen 25 Jahre Umweltpolitik ziehen im zweiten Teil unsere Autorinnen und Autoren eine Art Bilanz des Status Quo, um dann im dritten Teil einige, durchaus divergierende, Blicke auf die Herausforderungen und Szenarien der kommenden 25 Jahre zu werfen.

Die Herausgeber danken den vielen Beitragenden in dieser Ausgabe, aber auch in den vergangenen 25 Jahren. Sie danken ganz besonders den bisherigen Mitherausgebern Gerd Michelsen und Udo Simonis sowie dem engagierten Team des Hirzel Verlages, insbesondere unserer Lektorin Angela Meder.
Wir wünschen eine inspirierende Lektüre.

Die Herausgeber, im März 2018