JAHRBUCH ÖKOLOGIE 2021 ➤ Bestellen
Die Belege für die Naturzerstörung durch den Menschen weren immer erdrückender. Neue, dramatische Studien belegen den fortschreitenden Verlust an biologischer Vielfalt, das Schwinden der Wälder, den Verlust fruchtbarer Böden, die Vermüllung der Weltmeere durch Plastik oder den Klimawandel. Zugleich versuchen rechte Parteien oder „braune“ zivilgesellschaftliche Organisationen, Nachhaltigkeit, Ökologie oder Umwelt- und Klimaschutz zu delegitimieren, der Lächerlichkeit preiszugeben, zu verhindern oder in ihrem Sinne und für ihre Interessen umzudeuten.
Der Schutz der Heimat ist dabei ein Leitthema und zentraler Orientierungspunkt für rechtsradikale Akteur*innen, die die Europäisierung, die Globalisierung und den Multilateralismus ablehnen oder vehement kritisieren. Internationale Absprachen wie sie etwa im Rahmen der Vereinten Nationen (UN), der Welthandelsorganisation (WTO) oder der Europäischen Union getroffen werden, würden den Handlungsspielraum des Nationalstaates einschränken. Sie werden deshalb abgelehnt.
Noch vor wenigen Jahren war Globalisierungskritik und die Forderung nach einer umfassenden Regulierung der globalen Handelsströme oder der Finanzmärkte politisches „Eigentum“ linker politischer Kräfte. Heute nehmen Rechtspopulisten und Rechtsradikale den linken und linksliberalen Bewegungen die Kritik an den negativen Seiten der Globalisierung ab. Sie kämpfen um die Diskurshoheit über die Globalisierungskritik mit dem Ziel, die internationalen Institutionen zu schwächen und zu delegitimieren sowie internationale Regeln und Abkommen zu verhindern. Die Souveränität von Nation und Heimat soll wiederhergestellt werden.
Dafür wird ein tradiertes Naturverständnis propagiert, in dem der Mensch wieder als „Beherrscher der Natur“ erscheint. Er kann sich mit seinen technologischen Errungenschaften die Natur zum Untertan machen. Einschränkungen in der fossilen Automobilität werden als Freiheitsberaubung von Autofahrer*innen angesehen. Atom- und Kohlekraftwerke werden verteidigt, weil sie die souveräne Energieversorgung der Nation garantieren. Die Energiewende wird dann unterstützt, wenn sie dem Heimatschutz dient; ebenso der Tier- und Umweltschutz, der in das Weltbild vieler rechtspopulistischer und rechtsextremer Gruppen integriert wird. Vieles davon erinnert an die Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus. Der nationale und lokale Lebens- und Naturraum wird aufgewertet. Nation und Heimat bilden dabei den zentralen Orientierungspunkt; beides wird abgegrenzt von denjenigen, die nicht dazu gehören. Die „exklusive“ Heimat lässt Integration nicht zu.
Manche gehen davon aus, dass der Heimatbegriff längst an völkische Kräfte „verloren“ gegangen sei. Andere ringen intensiv um ein demokratisches, menschenfreundliches, solidarisches, inklusives, soziales und ökologisches Verständnis von Heimat. Der Kampf um die Deutungshoheit ist folglich noch nicht entschieden. Die unterschiedlichen Ansätze finden sich in den Beiträgen des vorliegenden JAHRBUCH ÖKOLOGIE wieder und bilden sich auch im Herausgeberkreis ab. Doch unabhängig davon, ob der Kampf um die Deutungshoheit als verloren oder weiter zu führen angesehen wird, sind sich die Herausgeber*innen doch darin einig, dass die ideologischen Ziele rechtspopulistischer und rechtsradikaler Gruppen in Bezug auf Heimat aufgedeckt und reflektiert werden müssen. Sie untergraben die Errungenschaften, die trotz aller noch unbewältigter Probleme in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten für eine sozial-ökologische Transformation erreicht wurden.
Zweifelsohne haben viele Menschen angesichts fortschreitender Umweltzerstörungen Angst oder werden von Zweifeln geplagt. Viele nennen es Heimatverlust, wenn Äcker, Wiesen oder liebgewonnene Freiflächen Bauprojekten weichen müssen; sei es für neue Autobahnen, den Ausbau von erneuerbaren Energien oder andere Infrastrukturprojekte. Wenn Dörfer – wie in Bayern – verstädtern oder junge Menschen die Dörfer – wie in Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen – verlassen, dann geht damit auch ein Stück Identität verloren. Dies ist sicher eine Erklärung für den Erfolg des Bürgerbegehrens zum Artenschutz in Bayern; aber auch für identitäre Bewegungen, die die Heimat wieder in ihrem Sinne aufwerten.
Sie werden unterstützt von den Dynamiken der Zentralisierung und Urbanisierung. In den urbanen Zentren wird entschieden, wo die Energiewende umgesetzt, wo neue Stromtrassen gebaut oder wo ein Windenergiepark realisiert wird. Die Folgen dieser Entscheidungen spüren vor allem die Menschen in der ländlichen Region, die durch immer größere Windparks, durch Stromtrassen oder immer mehr Straßen für den motorisierten Individualverkehr an Lebensqualität verlieren. Das wiederum ist ein Nährboden für rechtsradikale Kräfte, die auch Animositäten gegen „die Städter, die Intellektuellen, die da oben“ schüren.
Es geht dabei nicht primär um den Naturschutz, sondern um das soziale und politische Gefüge, das sich in ländlichen Regionen verändert – oder schon verändert hat. Der völkische, exklusive, individuelle Interessen bedienende Heimatschutz fällt gerade deshalb vielerorts auf fruchtbaren Boden. Rechtsradikale treiben die Gesellschaft in simplizistische Debatten zu Obergrenzen bei der Zuwanderung, zum Abriegeln der Grenzen und über die Erschaffung von nationalen Leitkulturen, die das Anderssein und das vermeintlich Fremde ausgrenzen.
Während sich „Braune“ und Rechtsextreme im Illegalen oder am extremen Rand des Gesetzes bewegen, zeitigt die gemäßigte Form – der Populismus – auch im Parteienspektrum seine Wirkung. Dabei geht es um Traditionen, soziale Lebensräume oder den Erhalt von Arbeitsplätzen. Auch Grüne und Umweltverbände, die einen Kontrapunkt setzen und sich deutlich für Klimaschutz aussprechen, nehmen sich der sozialen Frage an. Sie beteiligen sich am Deutungskampf um den Begriff Heimat.
Die Koordinaten des politisch Korrekten haben sich in Deutschland bereits rasant verschoben. Rassistische und unhaltbare Begriffe wie „Biodeutsche“ sickern in die Alltagssprache ein, und im Kielwasser eines bedenklichen Geschichtsrelativismus feiert die Heimat fröhliche Urständ. Dabei ist zu berücksichtigen, auf welchem historischen Grund die Auseinandersetzungen stattfinden. So ist zum Beispiel in Deutschland die Entstehung des Naturschutzes mit den Ideen des Heimatschutzes und der national(sozial)istischen Ideologie verbunden. Die Erinnerungskultur, die den Naturschutz des Nationalsozialismus und die heutigen Naturschutzflächen zusammendenkt, muss deshalb weiterentwickelt werden. Der Bezug auf eine Heimat, die sich nicht verändert, in welcher immerzu die gleichen Werte gelten, und für das Wohlergehen der in ihr Aufgewachsenen und Verwurzelten gesorgt wird, ist notwendigerweise exklusiv.
Braune Ökologie lebt in unserer Gesellschaft fort und könnte zukünftig in erheblich stärkerem Maße für nationalistische Agenden ausgenutzt werden. Gleichzeitig stellen ihre Akteur*innen nicht nur wichtige Errungenschaften der Umweltpolitik in Frage oder kämpfen gegen die Technologien der erneuerbaren Energien wie Windkrafträder, sie stellen auch einen guten Teil des wissenschaftlichen Fundaments von Ökologie und Nachhaltigkeit in Frage. Es ist eine dringliche Aufgabe für die Ökologiebewegung, wissensbasiert und werteorientiert neue Diskurse zu befördern, die der Gesellschaft die eingangs beschriebene Dramatik und die Notwendigkeit zum Gegensteuern verdeutlichen. Einer vergangenheitsbezogenen Politik von Nationalismus, Egoismus und Kurzsichtigkeit muss mit einer erweiterten, weltoffenen Konzeption einer inklusiven Heimat entgegengetreten werden. Diese sollte für Lebensqualität, Identitätsstiftung und Verankerung genauso stehen, wie für Weltoffenheit, Solidarität und Austausch.
Ökologie steht nicht nur für die Lehre von den offenen, haushaltenden und sich immerfort dynamisch wandelnden Systemen in der Natur, sondern auch für Diversität und Komplexität als Schlüsselattribute von Funktionalität. Was lässt sich eigentlich von komplex organisierten, selbstregulierten und offenen Ökosystemen für die Organisation von menschlichen Gesellschaften und der Weltordnung lernen? Wie positionieren sich Ökolog*innen in einer vollen Welt, in der die planetarischen Grenzen längst überschritten sind, zu Migration, Entwicklung und Wachstum? Gibt es ein Menschenrecht auf grenzenlosen Konsum, auf das eigene Sport Utility Vehicle (SUV) oder doch eher ein gutes Leben? Wie können wir unser Leben so gestalten, dass es nicht auf Kosten anderer beruht? Inwiefern stehen alternative Konzepte wie das Buen Vivir – das Gute Leben – nicht nur für Suffizienz, das Respektieren der Grenzen des Wachstums und für die Versöhnung der Menschen mit der Natur, sondern auch für Solidarität und inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit? Ist eine ökologische Politik auch eine Friedenspolitik? Wäre eine ökologische Leitkultur im politischen Spektrum links oder rechts zu verorten – oder zeigt sie Wege auf in eine neue Richtung?
Das vorliegende JAHRBUCH ÖKOLOGIE bietet Analysen von Entwicklungen, die mit dem Heimatbegriff verbunden sind. Es beinhaltet einen historischen Abriss zur braunen Ökologie, geht auf die Situation in Deutschland und in anderen Ländern ein und will Antworten auf die oben genannten Fragen geben. Es reflektiert die Tatsache, dass alle Menschen heute in ‚einer Welt’ leben, die durch Welthandel, Mobilität und weltweite Echtzeit-Kommunikation genauso geprägt ist, wie von sozialer Ungerechtigkeit und globalisierten Umweltproblemen. Dass diese Antworten unterschiedlich, ja teilweise widersprüchlich ausfallen, sehen wir als eine Stärke des JAHRBUCH ÖKOLOGIE an: Es vereint kritische Autor*innen, die Positionen beziehen und den Diskurs führen wollen. Dieser Diskurs ist im Kreise der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewegten gerade im Bezug auf „Heimat“ dringend geboten.
So ist auch der Abschlussbeitrag in diesem JAHRBUCH ÖKOLOGIE zu verstehen, der mit der Diskussion von Grundlagen eines neuen Ökohumanismus weniger Antworten bietet, sondern zu einem gesellschaftlichen Diskurs einladen will. Wir wünschen unseren Leser*innen eine anregende Lektüre und freuen uns über Erwiderungen, Beiträge, Kritik und Anregungen über die Homepage unseres JAHRBUCH ÖKOLOGIE.
Die Herausgeber*innen, im Juli 2020